Philipp Hager, Sextant-Sonaten

Bild: Philipp hager sextant_sonatenWenn dich Gedichte im Titel anspringen wie ein festliches Gedeck, senkst du die Stimme, speichelst ein und blickst gut gelaunt zu den Mitsitzenden am Tisch.

Philipp Hager hat mit Sextant-Sonaten ein Besteck ausgelegt, das die Leserschaft abenteuerlich aufmerksam stimmt, immerhin denken wir beim Sextanten an gesegelten Schiffsverkehr in ungesichertem Gebiet. Und Sonaten bringen ohnehin die Seele zum Klingen, da ist vielleicht noch kein Ton gefallen.

Und dann geht es los: Ein lyrisches Ich stellt seinen Wald vor, der aus Sonne und Laub besteht und das Paradies verspricht. Zwischen den Stämmen tut sich vielleicht ein Jahrtausend auf, und auch unter dem Wurzelwerk spürt man die Kraft der Erde. In diesem Wald ist noch alles offen, und das ist das Schöne daran. Willkommen in meinem Wald. (8)

Solchermaßen verzaubert und mit lyrischer Aufmerksamkeit geimpft, trifft man auf einen gut gelaunten Menschen, der soeben Vater geworden ist. Das Bündel Schlaf auf dem Rücksitz ist sein Sohn, und der frische Vater fährt wie der Erlkönig im Kleinwagen alle von der Geburt nach Hause.
Im Wechselspiel von Mythologie, Märchenzauber und Alltagsraffinesse erscheint plötzlich das Einhorn als gewöhnliches Arbeitstier, das aus Wundern besteht. Mönche schwärmen aus für eine Prozession und fangen sich Läuse ein. Unter dem Turm von Babylon sitzt ein Trupp von Exilanten und fügt sich ein Weltbild in verschiedenen Sprachen zusammen. Und in der frostigen Winternacht sitzt etwas im Federkleid und ruft und hat nicht einmal einen Namen.

Die angezupften Riffs glauben wir als Evergreen sofort zu erkennen, aber die Gedichte gehen immer ganz anders aus, als die ersten Klänge erwarten ließen. Es sind Gedichte zum Nacherzählen und -träumen, wiewohl Gedichte keine Handlung und keine Wahrscheinlichkeit haben.

Andererseits geht es zu wie in einer Chronik des Sozialamtes, wenn nach der Arbeit im Café erste und zweite Blicke getauscht werden und sich ein erotisches Kapitel auftut, wenn ein Räuber an den Küchentisch stürmt und Geld her! ruft, oder plötzlich eine Erinnerung den von der Vergangenheit Erschöpften zu Tränen rühren.

Vielleicht ist der Sextant also nicht ein nüchternes Instrument zur Vermessung der Welt, sondern eine Seh- und Hörmethode, mit der man die Welt zum Klingen bringen kann. Motive von Vivaldi, eine alte Zeile vom Olymp, die DNA der Sätze deuten darauf hin.

Und ein Erzähl-Gedicht von der Bücherwanderung wird alle Bibliothekare zustimmend nicken lassen, man weiß nie, wo die Bücher hinkommen. Ein Autor berichtet nämlich, dass sein großartiger Roman auf einem Therapiehof für Magersüchtige gelandet ist.

Philipp Hagers Gedichte sind frech und ohne großen Gestus unterwegs. Sie sind realistische Gebilde, die sich laufend neue Untertöne erschaffen, wie Übersetzungen aus einer anderen Welt.

Philipp Hager, Sextant-Sonaten. Gedichte
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2017, 110 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-903125-15-5

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Philipp Hager, Sextant-Sonaten
Wikipedia: Philipp Hager

 

Helmuth Schönauer, 08-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Philipp Hager

Buchtitel

Sextant-Sonaten

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

110

Preis in EUR

12,00

ISBN

978-3-903125-15-5

Kurzbiographie AutorIn

Philipp Hager, geb. 1982 in Scheibbs, lebt in Wien.

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