Jana Volkmann, Investitionsruinen

jan volkmann, investitionsruinenMeisterliche Gedichte lassen nicht spüren, dass hinter ihnen eine Theorie steckt. Dabei trifft die lyrische Erfahrung von Jahrhunderten auf die Bilder aus der Gegenwart, und niemand kann sich die Gedichte anders vorstellen, als dass sie eben in dieser Gestalt formuliert sind.

Jana Volkmann gibt ihren frei herumfahrenden Gedichten über Nacht Unterschlupf in germanistischen Carports, worin sie sich von der Lesewitterung geschützt regenerieren und aufladen können für den nächsten Tag.

Die Ruhe-Zentren der Texte sind überschrieben mit Dystopien | Reportagen | Liebesgeschichten | Kosmonautika | Arbeiterinnenlieder. Die fünf Genres decken tatsächlich alle Felder ab, die in der Lyrik der Gegenwart bestellt werden.

Diese Schwerpunkte ergeben auf der Sub-Ebene eine interessante Wertung, sie setzen mit Ungemach in der Zukunft ein, stellen die Wahrheit zur Diskussion in Gestalt tiefgehender Reportagen, ducken sich von der großen Welt weg hinein in die Nischen der Intimität, erobern den Weltraum und besingen die altvertraute Welt der Arbeiterdichtung, die auch durch das Gendern nicht mehr gerettet werden kann, weil der Arbeit einfach der Sinn ausgeht.

„ein umspannwerk in feldkirch. dystopien“ (7) Der Ort Feldkirch wird mehrmals aufgerufen und als Anti-Postkartenidyll definiert über Umspannwerke, marodierende Gestalten der Leere, Nachtbusse ohne Passagiere, und Mäuse, die das Ruder übernommen haben. In diesem Kontext einer verlorenen Welt ist das Bild zu deuten, wonach die Bewohner von der Politik ähnlich kapitalistisch ausgenommen werden wie Investoren ihre Gebäude bis zur Vernichtung ausreizen.

investitionsruine // wir sind eine investitionsruine / statussymbol eines instabilen herrschers / vision eines architekten im wahn / man wird uns kontrolliert sprengen / und wir werden in Würde / in uns zusammenfallen […] (23)

„die wahrheit ist nicht zu haben. reportagen“ (25) In erster Linie bestechen Reportagen durch ihre Darstellung einer fremden Welt. Im Zeitalter der Globalisierung rücken die Orte immer näher an ein undefinierbares Wohn-Konglomerat heran. Die Gedichte entlarven diesen Einheitskosmos, indem sie Orte wie Wolfsthal oder Yokohama mit der gleichen Inbrunst für die Randlage besingen. Die Schildkröte hat nichts, was sie auf dem Rücken trägt, heißt es sinnigerweise über die modernen Menschen, die überall auf der Welt mit sich selbst unterwegs sind auf sogenannten Einweg-Spaziergängen, die sich nicht wiederholen lassen. (31)

„kismet supermarkt. liebesgeschichten“ (45) Die Liebe ist einerseits eine Ware, die ähnlich einem Sonderangebot in Supermärkten ausgelegt ist, andererseits ein nicht planbarer Schicksalsschlag. Wenn sie einmal in Gang kommt, zeigt sie sich in kleinen Begebenheiten, voller Überraschung und Zufall.

investition // auf meiner waschmaschine / liegen drei münzen pfand / für unser wiedersehen / 50 lek 20 lek 10 lek (46)

Die Grenze zwischen Investition und Ruine lässt sich kaum ziehen, alles, was einmal ein Glanzstück gewesen ist, verfällt zur Ruine. Sichtbar wird dieser Verfall an drei Münzen, die mit absteigendem Nominalwert auf einer Waschmaschine ausgelegt sind. Die albanische Währung ist offensichtlich in einem Kleidungsstück eingeschlossen gewesen, das es jetzt von aller Patina der Erinnerung zu reinigen gilt.

„wovon träumt ein wal. kosmonautika“ (69) Ganz im Stile von Kosmonauten ist das lyrische Ich auf einem Hagelplaneten mit geringer Gravitation gelandet, die Koordinaten ergeben sich aus mehrstufigen Zahlenketten, die einem IBAN ähneln, jemand klopft auf das Raumschiffdach, aber niemand antwortet. Es ist ja alles nur ein Spiel aus der Kindheit, wo man auf die Resonanzhaut eines Cellos geklopft hat, bis die Meteorologie Entwarnung gegeben hat für neues Wetter, sodass das Metronom loslegen konnte. Die Klangsphären des Weltraums überlagern sich mit den knochenharten Taktschlägen aus der Kindheit, als ein Instrument gelernt werden musste.

Eine andere Geschichte aus den Kosmonautika nennt sich „Inventur“ (73) und erzählt von der Bestandsaufnahme in einer neuen Umgebung, die durchaus wortlos und weit ist wie das Universum.

„kumpel mit kalten händen. arbeiterinnenlieder“ (83) Diese schwermütigen Lieder handeln von der Arbeit der Götter, als die Komponenten Himmel und Erde in Handarbeit zusammengeführt werden mussten. Den Frauen bleibt in diesem antiken Ambiente nicht viel Zeit für göttliche Muse, sie sind eingespannt in Orakel und Verschwörungen, mit klugem Dirigieren sollen sie die verfilzte Halbgötterwelt der Intrigen auflösen.

Jana Volkmann „erzählt“ die lyrischen Motive als vollkommene Geschichten, sie legt dabei die Modele aus, in die sich die Lesenden ihren persönlichen Erinnerungsteig gießen müssen. Heraus kommt jedenfalls eine ideale Mischung aus Reflexion, lyrischem Handwerk und persönlicher Intuition.

Die fünf Cluster sind unterlegt mit wundersamen Zeichnungen von Jörn P. Budesheim, der mit feiner Bleistifthand aufgepoppte Situationen skizziert. Einmal schüttelt ein Paar eine Decke aus, es kann aber auch sein, dass es einen Toten birgt. Die Mehrdeutigkeit der Motive wird auch nicht dadurch klarer, dass man sich „wortlos“ auf den lyrischen Text rundum bezieht. Im Falle von Feldkirch scheint es allerdings etwas Ungutes zu sein, das da zusammengeräumt werden muss.

An manchen Stellen sind die Zeichnungen mit fast unsichtbaren Kurztexten versehen. „Kaum jemand ist so streng im Glauben wie ein Materialist.“ (40) „Im Gewächshaus ein schwarzes Loch züchten“ (64), heißt es da, und zu sehen ist ein schwarzer Kubus, der nach oben hin geplättet spitz zuläuft. An anderer Stelle blickt jemand aus einer Vignette heraus ins Freie und sieht die Buchstaben für „Laterne“. (78)

Da haben sich die Künste „Bildgedicht“ und „Gedichtbild“ in idealer Weise gefunden.

Jana Volkmann, Investitionsruinen. Gedichte, mit Zeichnungen von Jörn P. Budesheim
Innsbruck: Limbus Verlag 2021, 94 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-202-7

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Jana Volkmann, Investitionsruinen
Wikipedia: Jana Volkmann
Kunstbalkon: Jörn P. Budesheim

 

Helmuth Schönauer, 25-08-2020

Bibliographie

AutorIn

Jana Volkmann

Buchtitel

Investitionsruinen. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Limbus Verlag

Illustration

Jörn P. Budesheim

Seitenzahl

94

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-202-7

Kurzbiographie AutorIn

Jana Volkmann, geb. 1983 in Kassel, lebt in Wien.

Jörn P. Budesheim, geb. 1960 in Marburg, lebt in Kassel.