Andrej Kurkow, Der wahrhaftige Volkskontrolleur

Buch-Cover

Verrückte Staatsgebilde produzieren meist verrückt gute Berufe. So wurde in der Sowjetunion quasi die Verwaltung neu erfunden mit lauter seltsamen Beamten, die durchgehend für die Überwachung gebraucht wurden.

Andrej Kurkow greift augenzwinkernd aus dem Heer der wahnsinnigen Beamten den "Volkskontrolleur" heraus und gibt ihm ein erbärmliches bis erbarmungswürdiges Schicksal.

Pawel Dobrynin, ein nicht gerade beliebter Mitläufer auf einer Kolchose, wird aus heiterem Himmel heraus zum Volkskontrolleur bestimmt, für die ganze Sowjetunion und auf Lebenszeit. Als einziges Arbeitsgerät packt er eine Axt ein, künftig braucht er auch kein Geld mehr, denn wo immer er auftaucht, muss ihm alles kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Er bekommt auch eine dienstliche Ehefrau zugeteilt, die sich wie eine echte benimmt, das heißt sie schnaubt etwas, wenn Pawel auftaucht, aber die meiste Zeit ist er ohnehin unterwegs.

Da der Volkskontrolleur so seltsame Dinge wie das Leben, den Willen, die Treue oder die Willenskraft überprüfen muss, stößt er natürlich an die Grenzen des Überprüfbaren, zumal er am liebsten an die Grenze des Staates fährt und im Schneesturm des sibirischen Nordens auf verlorene Außenposten oder den letzten Überlebenden eines Ein-Personen-Volkes trifft.

Während die Geschichte des Volkskontrolleurs als Heilsgeschichte eines grotesken Bürokraten abläuft, versuchen in parallelen Handlungssträngen eine Gruppe von Dissidenten und ein kleinkarierter Schuldirektor glücklich zu werden, wenn nicht gar das Paradies zu erreichen. Ein Engel tauscht mit einem Deserteur die Klamotten, abtrünnige Rotarmisten und entlaufene Kolchosbauern stoßen hinzu und der Trupp zieht gegen Osten dem verheißenen Land entgegen. Andererseits knüpft ein Pädagoge Kontakte zu einer alleinerziehenden Mutter und redet ihr die Erlösung durch eine harmonische Zweierbeziehung ein.

Alle diese Protagonisten erleben auf ihrer Dienstreise zum Glück die absurdesten Abenteuer, das Land zeigt sich inoffiziell von einer skurrilen Seite.

Drei Häuser sind eine Stadt, zwei Häuser eine Ortschaft, ein Haus ein Dorf. (135)

Ein Papagei lernt über das Wochenende immer neue Gedichte, die er dann zu Beginn der Arbeitswoche amtlich vorträgt. In Erwartung einer großen Katastrophe müssen in einer schnell inszenierten Kampagne mehrere Millionen Liter Blut gespendet werden, um das Volk halbwegs zu retten. Wenn Jäger abends nicht nach Hause kommen, muss man schnell ihre Häuser niederbrennen, damit dort keine bösen Geister einziehen.

Der Volkskontrolleur stößt auf Vorgänger, die samt Aktentasche im ewigen Eis eingefroren wurden, man erzählt im nie die Wahrheit, und der selbst weiß nicht, wie er danach fragen soll. Seine Mission ist aussichtslos aber interessant.

Andrej Kurkows Roman ist eine arglistige Bestandsaufnahme eines niedergegangenen Reiches, voller Ausweglosigkeit, heimtückischer Bürokratie und eleganter Überlebenskunst.

Andrej Kurkow, Der wahrhaftige Volkskontrolleur. Roman. A. d. Russ. von Kerstin Monschein
Innsbruck: Haymon 2011, 430 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-85218-679-5

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Andrej Kurkow, Der wahrhaftige Volkskontrolleur

 

Helmuth Schönauer, 29-08-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Andrej Kurkow

Buchtitel

Der wahrhaftige Volkskontrolleur

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Haymon

Übersetzung

Kerstin Monschein

Seitenzahl

430

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-85218-679-5

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Kurkow, geb. 1961 in St. Petersburg, lebt in Kiew.

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