Gerhard Jaschke, Der Geschmack der Fremde - Scherenschnitte

Buch-Cover

Gerhard Jaschke verändert ununterbrochen die Trägerraketen, mit denen er seine Dichtung ins All der Realität schießt.

Einmal ist es sein Bauchkasten, mit dem er innerhalb von Sekunden eine literarische Ausstellung anzuwerfen vermag. Dabei entstehen Aufmerksamkeit und Bewunderung wie von selbst, indem das Schnappschloss des Behältnis mit einem elegischen Klacks auf das Publikum zufährt und die jüngste Jaschke-Literatur frei gibt.

Beinahe schon kontinentalberühmt ist auch seine Zeitschrift Freibord, die jubiläumsreif lange wie die Republik Österreich Sinn verströmt. Und immer wieder sind es neue Methoden, mit denen Literatur zeitgemäß verbreitet wird, der jüngste Streich sind Auskoppelungen aus einer Sammlung von Rezept-Gesprächen aus mannigfaltigen Kulturen.

Wie in einem graphischen Trailer werden die wichtigsten Graphiken des Bandes mit heftiger Geschwindigkeit dem Leser vorgeblättert. (In Tirol würde man von "vorgeplattelt" sprechen, einem Mittelding zwischen Schuhplattler und Dauermarsch.) Die einzelnen Graphiken entwickeln dabei eine Handlung, die wie beim Abspulen von Filmkadern in einander fließt. Und bei Bedarf kann die Mappe verlängert, umgestellt und multipliziert werden.

Die Methode des Scherenschnittes ist quasi mit dem schnellen Schnitt des Films verknüpft. Aus einer kongenialen Verknüpfung von historischer Prawda und Boulevard taucht jäh das Besteck auf, eine Kanne dampft durch die Fragmente einer Illustrierten, aus einer israelischen Zeitschrift sind Flaschenöffner geschnitzt, japanische Zeichen fließen in europäisches Papierbesteck ein, arabische Tortenheber wuchern zu Statuen aus, und gegen Ende hin geht die Achsel einer Frau in den Henkel einer Tasse über.

Stets sind Schrift- und Esszeichen übereinander geklebt, die jeweilige Kultur trifft auf die entsprechende semantische Unterlage und pongt weg wie bei einem gelungenen Spiel mit der Bande. Am Esswerkzeug wird die Kultur gebrochen und in einem neuen geschmacklichen Neigungswinkel in den Alltag zurück gebeamt. Letztlich verweisen die Scherenschnitte auf die große Textsammlung, aber in ihrer subversiven Auskoppelung zeigen sie auch den Kosmos eines Individuums, das in der Rezept- und Gesprächsflut tapfer als fixe Boje auf und abtanzt.

Gerhard Jaschkes Auskoppelung ist ein bemerkenswertes Kulturdokument, wie man Eigensinn und Diskurs elegant in Verbindung bringen kann.

Gerhard Jaschke, Der Geschmack der Fremde. Scherenschnitte.
Wien: Freibord 2004. 17 Blätter. Auskoppelungen aus: Lucas Cejpek / Margret Kreidl (Hg.): Der Geschmack der Fremde. Rezepte Gespräche.
Wien: Sonderzahl 2004. 256 Seiten. EUR 19,80. ISBN 3-85449-223-5.

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2004

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Jaschke

Buchtitel

Der Geschmack der Fremde - Scherenschnitte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Freibord

Seitenzahl

256

Preis in EUR

EUR 19,80

ISBN

3-85449-223-5

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Jaschke, geb. 1949, lebt in Wien.

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