Kurt Leutgeb, K2

Buch-Cover

Schon der Titel ist der Gipfel an Zuspitzung, ist doch der K2 nichts Geringeres als der zweithöchste Berg der Welt, der immer wieder Expeditionen abwirft oder mit seinem Spaltensystem verschlingt.

In Kurt Leutgebs Roman hat sich ein illegaler Ableger dieses K2 vor den Toren Wiens aufgetan, manche sprechen von einem Second-Kahlenberg, andere von einem Gebirgsgodzilla.

Der K2 fürhrt ein Eigenleben und ist längst ein Staat außerhalb der Stadt geworden, Tag und Nacht fordert er Tribut und an seinem Wachstum könnte sich jedes Wirtschaftswachstum eine Scheibe anschneiden. Das Schlüsselwort heißt ?Begradigung?. Dieses blöde Wort ist genau so sinnvoll wie Nulldefizit oder Pensionsharmionisierung, es ist während der Roman spielt eine Weile im öffentlichen Diskurs und niemand weiß, worum es sich handelt.

Vermutlich ist eine Mutation im Gesellschaftssystem dafür zuständig, dass ununterbrochen begradigt wird. Das heißt, in der Stadt verschwinden der Reihe nach Menschen, Plätze und ganze Häuserzeilen, während es draußen vor der Stadt immer höher wächst, jenes ?es?, das ein Giga-Mariazell mit geographischen Hormonstörungen zu sein scheint.

Ein paar verlorene Helden aus dem Studentenmilieu halten die Stellung in der Stadt, während die Öffentlichkeit ziemlich lethargisch diesem Treiben zusieht. Die Sorgen der Protagonisten sind ziemlich lächerlich angesichts des K2, aber trägt nicht jeder einen persönlichen Sorgenberg mit sich herum?

Jemand hat ein ungünstiges Interview gegeben und ist fortan erpressbar, aber die Kassetten lassen sich nicht zerstören, so dass die Erpressung in eine generelle Hysterie überläuft. Es wird gekocht, sexuell verkehrt, und während einem bei sexuellen Aktionen der Hintern weg bricht, fallen schon wieder ganze Häuserzeilen in sich zusammen.

Expeditionsfreudig wie Heini Messner gehen die Helden daher auf den K2 und erleben ähnlich Skurriles wie jeder Bergsteiger, der zu lange ohne Sauerstoff unterwegs ist. Und am Morgen ist der generelle Schatten wieder größer geworden, das kann am Berg liegen, aber auch am eigenen Gemüt.

Wie schon in seinem grandiosen Roman ?Mensch? lässt Kurt Leutgeb eine gesellschaftliche Erscheinung zum Hyperhelden werden. War es in ?Mensch? das Kapital, das sich verselbständigt und zur moralischen Übersau entwickelt hat, ist es bei K2 der Lebenswandel, der uns allen einen großen Berg vor die Haustüre setzt. Elemente wie Verkehrsbeschleunigung, soziale Einfriedung, Konsumtourismus und Verherrlichung des Mülls führen zu apokalyptischen Zuständen, die aber in Wien durchaus biedermeierliche oder sozialdemokratische Züge annehmen.

Kurt Leutgeb erzählt unbarmherzig und mit kalter Schnauze, vom Erzählboulevard des russischen Realismus hat er etwa die gute Sitte übernommen, die Ortsangaben generell mit einem Sternchen zu versehen. Das Leserhirn wird dabei rasend vor Imagination, ob es bei den abgekürzten Sternchengassen auch um jene handelt, die auf dem Stadtplan verzeichnet sind. K2 ist ein skurriler Roman von der erzählerischen Schlagkraft eines Don DeLillo, worin sich die geheime Unterwelt als erhabene Machenschaft ausstülpt.

Kurt Leutgeb, K2. Roman.
Klagenfurt: Sisyphus 2004. 162 Seiten. EUR 14,-. ISBN 3-901960-27-9.

 

Helmuth Schönauer, 29-11-2004

Bibliographie

AutorIn

Kurt Leutgeb

Buchtitel

K2

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Sisyphus

Seitenzahl

162

Preis in EUR

EUR 14,-

ISBN

3-901960-27-9

Kurzbiographie AutorIn

Kurt Leutgeb, geb. 1970 in Oberösterreich, lebt in Wien.