Stefan Schmitzer, scheiß sozialer frieden

Buch-Cover

Manche Gedichte sind wie verwachsene Liegenschaften, um die der Leser herum streicht, angezogen durch magische Musik, die daraus hervor dringt, abgeschreckt durch die Ahnung, dass vielleicht wilde Hunde darin herum rennen.

Stefan Schmitzers Gedichte sind voller Musik, gleichzeitig haben sie Schutzzäune um sich aufgebaut, so dass man nur an gewissen Stellen zu ihnen vorzudringen mag.

Gleich zu Beginn gibt es schweren Sound aus Dresden, vielleicht ist es eine Band, die sich ?Dresden Dolls nennt, vielleicht tanzen hier tatsächlich schwere Ostpuppen den German Beat. Lehm, Vögel und die Bildzeitung. Scheinbar unverrückbare Begriffe sind zusammengepresst, der Text ist verschrumpelt zu Hauptwörtern, die sich lyrisch im Befehlston entfalten.

"zauberkreise, strukturelle feigheit" nennt sich der nächste Abschnitt und legt gleich mit einem poetischen Kampfprogramm los.

dann hölzern / gegen die fresse von / außen und innen (11)

Die aus dem glatten Überbau heraus gefrästen Späne zischen feig und wahr zugleich in eine unbekannte Zone.

Zwischendurch wabert die urbane Lyrik voller Aggressivität und Sound hinüber in die letzten entlegenen Refugien des Planeten, freilich liegen auch im Urwald Wahnsinn und Aggression blank unter dem Blätterdach.

ich dachte an diese deutsche lehrerin im urwald / die um nicht am wahnsinn zu erkranken / das einmaleins in den regen schrie (63)

Der Titel dieses aggressions-genialen Kompendiums stammt aus der sogenannten Fluch-Sektion und nennt sich ganz zurückhaltend "einige Flüche". Als Leser hat man kaum eine Vorstellung, was alles ein Scheiß sein kann. Scheiß sozialer Friede (55), Scheiß biografische Knoten am Hals, Scheiß Wellblechlandschaften, Scheiß Kunst, Scheiß Einfamilienhaus-Cluster. Wie in einer klassischen Litanei wird hier der Scheiß freigelegt durch Beschwörung.

In einem Langgedicht, das vom Dumdidum einer Trommel unterlegt ist, zischt dieser ungebändigte Sound der Gegenwart seinem Ende zu.

Graphisch liefern die Gedichte so ziemlich alles, was es zwischen Barock und Beat zu geben vermag, Großschreibungen, Ligaturen, Einrückungen, Wortzerteilungen, Wortverpressungen.

In einem pfiffigen Nachwort schert sich Clemens J. Setz gar nichts über die eben gedruckten Gedichte, mit einem prophetischen Augenzwinkern überlegt er bereits, wie man die Gedichte  für den Deutschunterricht zerpflücken könnte. Denn eines ist klar, bei dieser schönen Gewalt der Texte müssen sie an die Schule, in den Deutschunterricht und später vielleicht einmal in eine germanistische Arbeit.

Stefan Schmitzer setzt seine Gedichte wie zerschnittene Pflaster auf die Wunden der Zeit - wunderbar auf eigentümliche Art.

Stefan Schmitzer, scheiß sozialer frieden. Gedichte, Nachwort von Clemens J. Setz
Graz: Droschl 2011, 96 Seiten, 15,00, ISBN 978-3-85420-788-7

 

Helmuth Schönauer, 12-11-2011

Bibliographie

AutorIn

Stefan Schmitzer

Buchtitel

scheiß sozialer frieden

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Droschl

Seitenzahl

96

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-85420-788-7

Kurzbiographie AutorIn

Stefan Schmitzer, geb. 1979 in Graz, lebt in Graz.

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