Günther Kaip, Nacht und Tag

Buch-Cover

Tiraden können gesteigert werden! Vor gut sieben Jahren hat Günther Kaip unter dem Universal-Titel "Nacht und Tag" eine Grundtirade veröffentlicht.

Jetzt ist der Text mindestens doppelt so lang und doppelt so heftig. Graphisch hat außerdem Joseph Kühn anständig das Messer gewetzt, um Messerschnitte der archaischen Art zu inszenieren.

Seine schweren Prozessionen von skurrilen Figuren irren durch ein Wurzelwerk von künstlichen Firmamenten, ab und zu sind satanische Hüften auszumachen, an anderer Stelle setzen Maskentiere ihre Bischofsstäbe ins Gelände. Kurzum, die Welt brodelt bei Joseph Kühn wie ein Gulasch in Schwarzweiß.

Von solchen Wahnsinnsbildern eingestimmt wendet sich der Leser Günther Kaips Tirade zu, die sich artig wie ein Flügelaltar vor dem Leser aufbaut. In den Teilen eins und drei geht es um Gesetzmäßigkeiten von unregulierten Lebensformen, im mittleren Teil wird das verkleisterte Dorfleben einer eingefrorenen Konsensgesellschaft geschildert.

Die Spielregeln sind geradezu aberwitzig logisch. "Wer sein Grab benützen möchte, muss vorher gestorben sein. Aber auch da gibt es Ausnahmen." (21) Solche Gesetzmäßigkeiten lassen darauf schließen, dass die Österreichische Realverfassung in groben Zügen Pate gestanden hat.

Manchmal kommt man sich so nahe, dass man sich im Anderen verliert. (25)

Gegen Abend kommt Wind auf, er treibt die vorbereiteten Schlafkäfige ins Dorf. (86)

Diese prägnanten Lebensformeln drücken die komplexesten Sachverhalte mit der Schlichtheit von meta-religiösen Koans aus. Einfacher und aufregender lassen sich die Stoffe Erotik und Nacht nicht darstellen. Überhaupt ist die leichte Drehung bemerkenswert, mit der die Sprichwörter der jeweiligen Situation entgegen gehalten werden, richtig ins Licht gehalten ist nämlich nichts so, wie es vorgibt zu sein.

Von Sprüchen zu Nacht und Tag umgeben ist freilich auch das reale Leben, wie es sich als eingefriedete Dorfidylle darstellt. Die Idylle ist selbstverständlich künstlich, nicht nur die Menschen bewegen sich so, wie sie es für putzig halten, auch das Ambiente ist pittoresk zusammengestellt mit Gegenständen aus zweiter Hand.

Manchmal passieren auch kleine Fehler, etwa wenn sich bei der Lieferung ausgestopfter Vögel (65) untypische Sorten wie Papagei und Kakadu einschleichen.

Diese extravaganten Vögel werden dem Lehrer geschenkt, der daraus einen exotischen Unterrichtsstoff für seine Schüler formulieren kann. Die brauchbaren Ausstopfungen kommen ins Gelände und werden wie vorgesehen in der offenen Landschaft, am See oder im Wald platziert.

Die Bevölkerung setzt sich wie ein Ministändestaat aus den wichtigsten Berufsgruppen zusammen, Lehrer, Arzt, Geliebte, Kinder führen im Dorf genau jene Sketches auf, die sie für das Leben halten.

Günther Kaips Tirade ist eine wunderbare Beschreibung des unverfälschten Lebens, wie man es in idyllisierenden Bilderbüchern manchmal zu lesen bekommt.

Freilich ist seine Geschichte sanft und brutal wie Nacht und Tag. Oft erinnern seine Sätze an frisch gepflügte Ackerzeilen, aus denen die aufgerissene Mikrowelt verdutzt gegen den geglätteten Himmel starrt. Ein Text wie ein Messerschnitt!

Günther Kaip: Nacht und Tag. Eine Tirade. Mit Messerschnitten von Joseph Kühn.
Klagenfurt: Ritter 2004. 93 Seiten. EUR 13,90. ISBN 3-85415-361-9.

 

Helmuth Schönauer, 22-02-2005

Bibliographie

AutorIn

Günther Kaip

Buchtitel

Nacht und Tag. Eine Tirade

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Ritter

Illustration

Joseph Kühn

Seitenzahl

93

Preis in EUR

EUR 13,90

ISBN

3-85415-361-9

Kurzbiographie AutorIn

Günther Kaip, geb. 1960 in Linz, lebt in Wien.<br />Joseph Kühn, geb. 1945, lebt in Wien.

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