Petra Ganglbauer, Glöckchen Nachtprogramm

Buch-Cover

Absichtslosigkeit, Morphing, Kriegsmetaphorik - im Nachwort hat Petra Ganglbauer penibel aufgelistet, nach welchen Regeln das Skelett des Buches aufgebaut ist, und das Fleisch des Textes muss man als Leser ohnehin selbst Seite für Seite vom Knochen nagen.

Absichtslosigkeit ist ja wohl der häufigste Grund für Leser und Schreiber, sich mit einem Stoff zu beschäftigen. Wohin treibt es jemanden, wenn er sich gehen lässt, wohin gelangt er, wenn er auf der Sprache dahinsegelt, zu welchen Schlüsseln kommt er, wenn er semantisch surft.

Die 22 Texte läuten als Glöckchenstöße durch das Nachtprogramm. Einmal wird das Wort Glöckchen gar zu einem Losungswort, mit dem sich der Zugang zu neuen Nachrichten auftut. ?Dämmerwort: Glöckchen.? Im Titel ist jeweils ein aktuell häufig verwendetes Modewort angeführt, die Titel für sich genommen sagen schon recht gut aus, was etwa in der Gegenwart so gesprochen und diskutiert wird.

?Auflösung, Scanner / Flame War / Mausmatten / Cinema on Demand / Plastiksoldaten / Kaltstart / Netiquette / Klon / Peer to Peer / Image Map.?

Das sind semantische Glockenschläge, mit denen die Gesellschaft ihre Sätze einläutet. Den Titeln entspricht jeweils eine Göttin, die sich den Texten kurz als Peron zur Verfügung stellt und sich dann jeder weiteren Verfestigung entzieht.

Aus den zufälligen Anlässen heraus entwickelt sich in der Folge das ?literarische Morphing?. Dabei werden Informationsteile, welche die Autorin gesammelt hat, in einem neuen Zusammenhang präsentiert. Petra Ganglbauer vergleicht diese Methode mit dem Umtrieb von Avataren im virtuellen Raum. Den Texten wohnt als dritte Komponente ein kriegerisches Element inne. Nicht nur Plastiksoldaten stehen an der Schwelle ihrer Vernichtung, auch die Sprache selbst verglüht permanent in kriegerischer Metaphorik.

?Plastiksoldaten /Jetzt hockt sie als Gras verbreitert, als Trauer in feinen Fäden in Grün und geharnischte Figuren nehmen den Weg durch ihr Kleid. Schachfiguren. Schlachtfiguren. Sie stellen ihr Feldbetten auf, sie tun es fremd in ihrer Sprache. Ihre Worte sind Astgabeln. Gewehre. Abschussrampen. Sie tun es mit staatserhaltenden Körperhälften. Sie duldet es ohne Geste und schon fast blind. Noch heißer als sonst leuchtet das Auge des Taifuns. Es leuchtet wie ein eingesperrtes Feuerwerk.?

Die Zeichnungen von Gerda Sengstbratl zeigen die Göttin in ihren diversen Bewegungsornamenten, wie bei choreographischen Standbilder hängt dabei die Frau in ihrem Gespann aus Devotionalien.

Ein raffiniertes Buch, voller Poesie und Eleganz. Mit dem erklärenden Nachwort unterfüttert findet man sich als Leser gut zurecht in den kühnen Textkompositionen.

Petra Ganglbauer: Glöckchen. Nachtprogramm. Mit 7 von Gerda Sengstbratl.
Wien: Das fröhliche Wohnzimmer 2005. [40 Seiten]. EUR 7,10. ISBN 3-900956-78-2.

 

Helmuth Schönauer, 06-04-2005

Bibliographie

AutorIn

Petra Ganglbauer

Buchtitel

Glöckchen Nachtprogramm

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Das fröhliche Wohnzimmer

Illustration

Gerda Sengstbratl

Preis in EUR

EUR 7,10

ISBN

3-900956-78-2

Kurzbiographie AutorIn

Petra Ganglbauer, geb. 1958 in Graz, lebt in Wien.

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