Erich Schirhuber, Im Herbst fast weiß

Buch-Cover

In Gedichten wird der wahre Blick manchmal durch Ironie oder andere Ablenkungen etwas beiseite gekrümmt, um den Weg auf die Wahrheit frei zu legen.

Erich Schirhuber verwendet oft bekannte Sequenzen, um sie durch ein paar raffinierte poetische Handgriffe lyrisch zu tunen und unvergessliche Gedichte daraus zu machen. Schon der Titel ?Im Herbst fast weiß zeigt diese Methode. Der Lebensabend, im Haar vielleicht vollkommen weiß, wird euphemistisch noch Herbst genannt, und auch die offensichtlich vom Winter schon geweißelte Szenerie suggeriert noch die Sattheit des Herbstes.

Im Gedicht Arithmetik greift der Autor die Empfehlung Martin Luthers über die gelungene Sexfrequenz auf, wonach zweimal wöchentlich ideal ist.

In der Woche zwier / schadet weder Dir noch ihr / und macht im Jahr doch hundertvier.(75)

Diese Emsigkeit und Beharrlichkeit gilt für den Autor auch als Ansporn, vielleicht einmal jeden Tag ein Gedicht zu schreiben, ohne es dann doch zu übertreiben.

Was ist normal, was ist übertrieben, was ist just in time? Gerade in der Liebe ist diese Frage äußerst wichtig, wer beispielsweise nicht den rechten Zeitpunkt für einen fulminanten Anruf findet, verhaut sich leicht das ganze Beziehungs-Kistl.

Erich Schirhuber formt aus ungewöhnlichen Fragestellungen, wie etwa nach dem richtigen Zeitpunkt beim Liebes-Anruf, so etwas wie Volksweisheiten, ganz im Sinne Martin Luthers. Umgekehrt verbiegt er gängige Faustregeln zu individuellen Lebensentwürfen. Jeder Mensch etwa hat seine persönliche Hausbergkante, über die er springen muss, auch wenn er im gewöhnlichen Leben dann auf Krücken endet.

Manchmal entwickeln zwei scheinbar unauffällige Gedichte durch ihre wechselseitige Wirkung eine ungeahnte Sprengkraft an Information. So sind im Sinne einer genetischen Kreuzung die zwei Gedichte Klassentreffen und Intensivstation einander gegenübergestellt. Die jeweiligen Zeilen entwickeln einen vollkommen neuen Sinn, wenn sie über Kreuz gelesen werden, und tatsächlich haben Erinnerungsausbrüche beim Klassentreffen oft mit dem Koma auf der Intensivstation zu tun. (54/55)

Überhaupt geht die Erinnerung in Erich Schirhubers lyrischen Texten oft seltsame Wege. So überquert ein reifes lyrisches Ich den Eisack und wird dabei an die Südtiroler Großmutter erinnert, wie diese einst hemmungslos um die Hündin Leika geweint hat, als diese in den Weltraum geschossen worden ist.

Die verlorene oder versäumte Zeit springt immer wieder durch die Ritzen der Zeilen, sodass ihnen Erich Schirhuber gleich einen Schwerpunkt gesetzt hat, er nennt eine Serie von Texten einfach Versäumnisse. Und die haben es in sich, Kindheit, Liebe, Landschaft, Zukunft, an manchen Tagen scheint alles versäumt zu sein. So wohl auch der Herbst, der als weiß gewordenes Ding aufgetaucht ist. - Erich Schirhuber biegt in den Texten das Weiße des Vorhangs ein wenig zur Seite, damit wir besser sehen.

Erich Schirhuber, Im Herbst fast weiß. Lyrische Texte.
Mödling: Edition Roesner 2010, 123 Seiten, 17,90 €, ISBN 978-3-902300-57-7

 

Helmuth Schönauer, 04-12-2011

Bibliographie

AutorIn

Erich Schirhuber

Buchtitel

Im Herbst fast weiß

Erscheinungsort

Mödling

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Edition Roesner

Seitenzahl

123

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-902300-57-7

Kurzbiographie AutorIn

Erich Schirhuber, geb. 1955 in Bad Vöslau, lebt in Wien.

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