Manfred Wieninger, Der Engel der letzten Stunde

Buch-CoverDer Überkrimi schert sich nicht um Plot oder Leichen, sondern saugt wie ein überdimensioniertes Argusauge die Stimmung aus den letzten Winkeln einer Gegend. Der Kommissar oder Privatdetektiv dient in solchen Romanen als Ansaugdüse, um Dreck, schlechte Stimmung und Ödnis aufzustöbern.

Marek Miert lebt in der Tristesse Ostösterreichs, sein Empfindungszustand lässt sich am besten mit seinen eigenen Worten beschreiben: "Ich hatte prähistorische, holländische Glashaus-Oliven gefrühstückt, einen Rest bulgarischen Knäckebrotes aus dem Sonderangebot und schlechte Laune, denn ich hatte während der angeblich wichtigsten Mahlzeit des Tages meine Kontoauszüge studiert." (6)

Die Ich-Position des Romans reißt den Leser förmlich in das Innere des abgefackten Detektivs und mit jedem Satz, den der erzählende Expolizist von sich gibt, wird man mehr hineingezogen in kaputte Dinge, rostige Gebilde, abgewetzte Sachen und zerschlissene Dialoge von sterbenden oder sonst wie müden Menschen.

Ein Selfmade-Schrotthändler Marke Österreich liegt als sein eigener Leichnam in einer Villa, die als gebauter Erzherzog-Johann-Jodler ausgeführt ist. Der ziemlich gelähmte alte Mann gibt noch ein paar Statements zur eigenen Wirtschaftslage von sich und beauftragt Marek Miert, ein verschwundenes Mädchen zu finden. Das Foto der Verschwundenen gleicht einem graphischen Vulkanausbruch von Grobkorn und Grauflunsen, aber so kaputt kann ein Foto gar nicht sein, dass es nicht der Beginn einer wunderschönen Fahndung sein könnte.

Sinnigerweise heißt die einzige Auskunftsperson Helga Kafka, und die restlichen Personen stammen alle vom Set einer Spira-Reportage. Der Plot ist ziemlich österreichisch angelegt, das heißt, er verfehlt sich ununterbrochen selbst und bricht in barocken Schlieren aus. Aber das wird letztlich ein grandioses Gefüge.

Manfred Wieninger hat einen schrägen, ulkigen Roman abgeliefert, der den großen Sound von Chandler aufgreift und mit österreichischen Rülpsern unterlegt. Daraus entsteht ein Mittelding zwischen urbaner Wilderer-Saga und dem Landleben von Wien-Mitte. Der Erzählton ist schroff gehauen, aber die Textbausteine sind dadurch elegant zusammengefügt wie eine wuchtige Granitmauer, deren Fundament bis in die Hölle hinunter reicht.

Manfred Wieninger: Der Engel der letzten Stunde. Kriminalroman.
Innsbruck: Haymon 2005. 186 Seiten. EUR 17,90. ISBN 3-85218-489-4.

 

Helmuth Schönauer, 12-09-2005

Bibliographie

AutorIn

Manfred Wieninger

Buchtitel

Der Engel der letzten Stunde

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Haymon

Seitenzahl

186

Preis in EUR

EUR 17,90

ISBN

3-85218-489-4

Kurzbiographie AutorIn

Manfred Wieninger, geb. 1963 in St. Pölten, lebt in St. Pölten.

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