Paula Fox, Der kälteste Winter

Buch-Cover

Die Erinnerung ist ein komisches Ding, sie setzt oft unvermittelt ein und hält sich auch nicht immer an die Spielregeln der Logik.

Paula Fox erzählt in ihren Erinnerungen an das befreite Europas von diesen Geröllmassen, über die das Gehirn stolpert, wenn es im Rösselsprung von der Gegenwart in die Nachkriegszeit hüpft. ?Die Erinnerung setzt oft mitten in einer Geschichte ein.? (15)

Die Ich-Erzählerin besteigt 1946 in New York ein Schiff nach Europa und streift dort als Korrespondentin, Aspirantin oder auch ohne Arbeitsbewilligung durch London, Polen, die Tschechoslowakei und Spanien. Wie schon der Titel sagt, bleibt vor allem ein vages Gefühl von Kälte, die Leute sagen, dass es damals kalt gewesen sei wie seit zwanzig Jahren nicht mehr.

In den Erinnerungsparcours sind wunderschöne Fotos eingeklebt, die entweder Society-Leute der damaligen Zeit zeigen oder das öde Nachkriegseuropa. Unvergessen bleibt dem Betrachter sicher eine slowakische Straßenbahn in typischer Doppeltraktion, die an einem grauen Sommertag durch eine leer gepflasterte Straße fährt. Da entspricht das leblose Fuhrwerk von hinten, das in schneebedeckten Schuttkegeln einer ausgebombten Stadt hängen geblieben ist, schon fast übergenau den Klischees, die man sich zur besagten Zeit angeeignet hat.

Die Erzählerin durchkämmt die einzelnen Stationen mit dem grobzahnigen Kamm für die Erinnerungsfrisur. Zuerst wird etwa ein hohes Lied auf New York gesungen, dann kommt mit der gleichen Intension die Erklärung, wie man sich eine Schiffsüberfahrt verdient. Am besten verdient man sich die Kohle für das Abenteuer immer noch durch den Job der Kellnerei.

In Europa schließlich laufen die zertrümmerten Länder wie zufällig ineinander über. Es handelt sich offensichtlich um vage Streifzüge durch eine Epoche der Zerstörung, wie sonst jemand über einen Strand läuft, der einmalig und gleichzeitig beliebig ist.

In Spanien schließlich trifft die Erzählerin auf den Großonkel, im Hintergrund laufen Nazi-Elemente als Franco-Diktatur weiter.

Es ist vor allem die Unverfrorenheit der Erinnerung, die aus diesem Buch herauszischt. Wie in einem Bilderbuch, in dem gleichsam ausgestorbene Gerätschaften und Lebenshaltungen abgebildet sind, schaut man als Leser vor allem den skurrilen Aspekten des Gezeigten nach. Völlig quer zur üblichen historischen Darstellung verirren sich hier Schicksale, die schon längst verklungen sind. So bleibt aus Spanien überhaupt nur das Schicksal eines geretteten Hundes übrig, an dem der Großonkel einst seinen Lebenswillen aufgerichtet hat.

?Das alles geschah vor langer Zeit, in einer anderen Welt. Helen Grassner wird heute tot sein. Der Tscheche Karel, der wie ein Junge aussah, ist alt. Wenn er noch lebt.? (101) ? That?s it!

Paula Fox, Der kälteste Winter. Erinnerungen an das befreite Europa. A. d. Engl. von Ingo Herzke.
München: C. H. Beck 2006, 153 Seiten, EUR 16,90. ISBN 978-3-406-54208-4

 

Weiterführende Links:
C.H.Beck-Verlag: Paula Fox, Der kälteste Winter
Wikipedia: Paula Fox

 

Helmuth Schönauer, 15-03-2006

Bibliographie

AutorIn

Paula Fox

Buchtitel

Der kälteste Winter. Erinnerungen an das befreite Europa

Originaltitel

The Coldest Winter: A Stringer in Liberated Europe

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

C. H. Beck

Übersetzung

Ingo Herzke

Seitenzahl

153

Preis in EUR

EUR 16,90

ISBN

978-3-406-54208-4

Kurzbiographie AutorIn

Paula Fox, geb. 1923, lebt in New York.