Christian Futscher, Dr Vogel oder Ach was! Wine and Coffee Art

Was tun, wenn jemand durch den Zahn der Zeit erwachsen geworden ist und sich nicht mehr getraut, Bilderbücher zu lesen? – Für diese Leserschaft liefert Christian Futscher idealen Lese- und Schaustoff.

Dr. Vogel ist beim ersten Anblick ein Bilderbuch. Die Kleckse ufern zu Kontinenten aus, manchmal erkennt man sogar Amerika, manchmal nur ein Stück Abfall, aber dann ist wieder ganz deutlich das so genannte kleine Arschloch zu sehen, der Autor weist mit einem beschrifteten Pfeil punktgenau darauf hin.

Bei tieferem Anblick wird dem Leser klar, dass es sich hier um ein Bilderbuch der Anarchie handelt. Das Denken wird während der Formulierung freigelassen, Skizzen gehen in Volltext über und die Schrift verklumpt zu zweidimensionalen Skulpturen.

Schon die Überschriften sind ausgesprochen formidabel. Auf dem Mond gehen die Uhren anders, Voll in die Wand, USA?, Weltfluchten (Trotteltitel) erwecken sofort große Neugier, wie die Geschichte wohl weiter geht. Aber manchmal hat es sich mit dieser Überschrift, mehr gibt es nicht, denn bei solch flüchtigen Skizzierungen im Titel wendet sich auch stracks die Zeichnung ab, sobald man sie ins Auge fasst.

Dann wird es wiederum völlig existenziell und metaphilosophisch.

Ein Gestirn verstirnte sich im weltallseitigen Weltall, kam schließlich zu einer stirnigen Engstirnigkeit, die sich vor ihm ausverbreiterte und sagte: ‚Ach was!’ Das Gestirn hieß Vogel.

Solche Gedankengänge übertreffen spielend die Satzschleifen skurriler Philosophen und kippen alle semantischen Systeme, bis sich die Metaebenen hinter den Sätzen wieder kurz schließen und einen neuerlichen Lichtbogen der Erekenntnis auslösen.

Wahrscheinlich sind die Bilder Ergebnisse solcher Ideenkurzschlüsse, aus Klecksen entwickelt sich etwa das Weltall, der Abdruck eines feuchten Glases liefert die Koordinaten für die nördliche Hemisphäre oder es geht schlicht rorschachtestig zu: du bist, was du in den Klecksen siehst. (Hier wimmelt es von Kondomen, Reizwäsche und Sperma-Tierchen, wenn man sich als Leser nicht streng ins eigene Zaumzeug fällt!)

Dr. Vogel macht allerhand Verwandlungen durch und gelangt schließlich zum erlösenden Aus, das in Manier eines Film-Endes geschrieben steht.

Christian Futschers Kunst voller Wine and Coffee, wie es im Untertitel heißt, besticht durch ausschweifende Konzentration auf das Wesentliche. Jener Fleck ist am besten, der dir gerade am nächsten ist, jene Notiz hilft am weitesten, die am griffbereitesten ist, und jene Geschichte, die am wenigsten nach Geschichte aussieht, zischt dir schließlich wie der „Vogel Achwas“ am spitzigsten in die Blutbahn des Abenteuers.

Christian Futscher, Dr. Vogel oder Ach was! Wine and Coffee Art.
Wien: Das Fröhliche Wohnzimmer 2006. 84 Seiten. EUR 10,50. ISBN 3-900956-82-0.

Weiterführende Links:
Edition Das Fröhliche Wohnzimmer: Christian Futscher, Dr. Vogel oder Ach was!
Wikipedia: Christian Futscher

Helmuth Schönauer, 06-07-2006