Sepp Mall, Schläft ein Lied
Was bleibt an Nachbildern, wenn man schnell die Augen vor der Realität verschließt? - Es bleibt die Kindheit, der Acker, auf dem sich Pflanzen und Kinder tummeln, die Stube, die die Jahreszeiten hinaus sperrt, es bleiben zwei drei Schafe, die unvermittelt auf der Schreibtischplatte auftauchen.
Sepp Mall braucht wie ein genialer Musiker nur zwei drei Handgriffe, um mit unverwechselbaren Riffs seine Lyrik zum Klingen zu bringen.
Halbsätze kommen den Lesern verführerisch entgegen, indem sie einladen, den Halbsatz zu vervollständigen nach Laune und Wissenstand.
Spuren dünnen immer wieder aus, verlaufen im Weiß des Sehfeldes oder ändern die Spurweite. In einem Gedichtband laufen diese Fährten sporadisch vor dem Leser ab, zwischendurch ist das Ziel sofort einsichtig, dann wieder verliert es sich, um vielleicht gar nicht mehr aufzutauchen.
Literatur entsteht durchaus aus den unsichtbaren Rissen, die durch jede Gesellschaft verlaufen und an denen sich der Feinfühlige ansiedelt, um zu überleben.
In der Literatur gibt es letztlich nur zwei Themen: Liebe und Tod. Wenn das Leben ausgeistert, fällt alles ab und diese beiden bleiben übrig.
Lyrik ist nicht nur der Text, der irgendwie zu den Leserinnen durchdringt, sondern vor allem das Ambiente, die Darbietungsform, das Weiße zwischen den Zeilen, das Haptische zwischen den Fingern, der Klang, der beim Umblättern entsteht.
Neben esoterischen Legenden, wo „Streith“ eine Art Gemüts-Materie ist, findet man unter Streith vor allem eine Geländeparzelle auf halbem Weg von Großgerungs nach Großpertholz. Wem diese Groß-Orte zu unbekannt sind, sie liegen im Großraum Weitra /NÖ.
Wie kann man einen ungewöhnlichen Lyriker in einer kleinen Schau präsentieren, ohne dass sein Werk zurückgestutzt wird auf die Erfordernisse der modernen Editionskultur?
Das lyrische Programm eines Autors zeigt sich selbstverständlich in seinen Gedichten, andererseits in poetischen Formeln, die wie Spruchbänder den Gedichtsammlungen überschrieben sind. „Er wollte Gedankenmaschinen bauen, die von solcher Eleganz und Vollkommenheit, im Übrigen ohne jeden praktischen Zweck waren, dass es auch unnötig war, sie zu materialisieren.“ (5)
Die raren Gedichtbände beinahe schon verlorengegangener Lyrik-Helden gleichen unauffälligen Meteoriten: Während Gras über ihren Einschlagkrater wächst, beginnen sie aus der schwarzen Antimaterie heraus zu funkeln.