Dragana Mladenovic, Verwandtschaft

Das vage Wort Verwandtschaft löst je nach Mentalität Bedrohung oder Geborgenheit aus. In der kleinbürgerlichen Einzeller-Gesellschaft gelten die Verwandten freilich fix als Bedrohung, nicht umsonst gibt es die Faustregel: Wenn die Verwandten kommen, musst du vor dir selbst fliehen!
Dragana Mladenovic spricht in ihrem beinahe als Erzählung ausgelegten Gedichtzyklus die Verwandtschaft auf zwei Ebenen an. Zum einen ist es die biologische Verbundenheit gewisser Clans, zum anderen ist es die große Verwandtschaft innerhalb des Staates.


Nichts ist so schlimm, wie das achtlose Vergessen-Sein. Die Aufgabe der Lyrik ist es unter anderem, Dinge und Wörter zu bewahren, mit ihnen zu reden und ihnen ein Gefühl des Willkommenseins zu vermitteln. Umgekehrt belohnen die Dinge und Wörter die Menschen mit Poesie.
Was trocken unter dem Titel Dokumentation läuft, ist vielleicht die aufregendste Lyrik-Sammlung des ganzen Jahres.
Immer wieder seufzt jemand, er habe die ganze Zeit gewartet oder sie habe die ganze Zeit daran gedacht. Aber was ist diese ganze Zeit, wie lange dauert sie, wie umfangreich ist sie?
In einem Glas sitzt der Dichter, leicht durchgeschüttelt wie der Wein vor einer Verkostung, man kann noch nichts über den Geschmack sagen, der flüssige Dichter jedenfalls schaut besinnlich hoffnungsvoll aus dem Glas.
Als die schönen Tage gelten oft die unauffälligen, als die schönen Wanderungen die gemäßigten, als die schönen Gedichte vielleicht die unspektakulären.
Oft erreichen überladene Dinge ihre Leichtigkeit erst durch präzise Verhöhnung. Lyrik gilt oft trotz der Seltenheit der darin vorkommenden Wörter als sehr schwere Kost, die sogar Depressionen auslösen kann.
Gute Gedichte sind durchaus rätselhaft und gleichen dadurch echten Kreuzworträtseln, die es streng nach logischen, emotionalen und formalen Kriterien aufzulösen gilt.