Tiroler Gegenwartsliteratur

Brigitte Jaufenthaler, Diva & Angelo

h.schoenauer - 07.12.2012

Ein Krimi kann offensichtlich in jedem Milieu spielen, weil es in jedem Milieu Abweichungen von der Moral gibt. Die provinzielle Universität Innsbruck, eingekreist von akademischen Ritualen, ist natürlich ein ideales Terrain zum Abwickeln eines Krimis mit Kleingeistern als Helden.

Brigitte Jaufenthaler lässt im Studentenmilieu recherchieren. Vinzenz, der Mini-Dozent, und Theresia, die musische Studentin, treffen an einer Bar aufeinander und beginnen akademisch verbrämt ein lustvolles Geschlechtsverhältnis. Jetzt kann man mit alpin-trivialen Namen natürlich keinen Recherche-Baum ausreißen, weshalb sich die beiden Diva und Angelo nennen.

Alfred Gelbmann, Trümmerbruch oder Die Entdeckung des glücklichen Raumes

h.schoenauer - 05.12.2012

„Ein Friedhof ist ein Friedhof. Man sollte von einem Friedhof nicht mehr erwarten, als er für die Toten bedeutet. Die Lebenden sind Gäste auf Friedhöfen.“ (50)

Alfred Gelbmann gilt als der Meister der „lapidaren Logik“, worin Selbstverständlichkeiten enträtselt werden, indem sie ähnlich dem Roman nouveau in ihre Einzelteile zerlegt werden.

Martin Kolozs, Immer November

h.schoenauer - 23.11.2012

Ein verstörter Held, der seine Verstörung durch einen wahnwitzigen Amerika-Trip bekämpfen will, wird in den Klassikern Kafkas, Handkes und Gerhard Roths jeweils noch verstörter, um entweder hinter Oklahoma für immer zu verschwinden oder in der eigenen Mythologie zu Grunde zu gehen.

Martin Kolozs schickt seinen kaputten Helden Hans Salten durchaus mit dem Gefühl literarischer November-Figuren nach Amerika. Salten hat zu Hause in der Alpen-Provinz ein ziemlich bodenloses Gefühl mit sich selbst und vertraut sich daher einem literarischen Psycho-Therapeuten an. Dieser entdeckt bald einmal, dass er es mit einer Art Literaturwahn zu tun hat, welcher seinen Patient tagein tagaus, mit und ohne Buch verfolgt.

Florian Gantner, Sternschnuppen der Menschheit

h.schoenauer - 12.11.2012

Im Jahrhundertbestseller „Sternstunden der Menschheit“ von Stefan Zweig geht es um vierzehn historische Höhepunkte, welche angeblich die Menschheit verändert haben sollen.

Florian Gantner nimmt diese hehre Vorlage zum Anlass, um über die Menschheit etwas ganz Irdisches, Gewöhnliches und Unscheinbares zu erzählen. In einer Rahmensituation packt ein schwadronierender Naturwissenschaftler seine ungelegten Erzähl-Eier aus, um einer Frau zu imponieren. Dabei erfindet er eine kosmische Konstellation, in deren Sternschnuppen sich die trivialsten Geschehnisse entwickeln.

Renate Scrinzi, Und Emilio lächelt

h.schoenauer - 12.11.2012

Auszählreime sind oft die beste Struktur, um ein raffiniertes Menschenschicksal darzustellen.

Renate Scrinzi stellt ihrem Roman „Und Emilio lächelt“ eine markante Faustformel des legendären tschechischen Langstreckenläufers Emil Zátopek voran: „Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft.“ (5)

Marlene Schwarz, Catania

h.schoenauer - 09.11.2012

In der Literatur gibt es oft ein strenges Ranking verschiedener Nachrichten. So muss fallweise eine Verwandtschaftsbeziehung einem Text vorausgestellt werden, damit sich die Leserschaft anschließend voll auf den Text konzentrieren kann.

Im Falle von Marlene Schwarz muss man einfach wissen, dass sie die Schwester von Herbert Rosendorfer ist, und dieser beschreibt jene in einem Vorwort als die Strukturierteste und Emsigste unter den Geschwistern.

Ursula Bauer / Jürg Frischknecht, Schüttelbrot und Wasserwosser

h.schoenauer - 30.10.2012

Der Vinschgau, diese bemerkenswerte Kulturlandschaft zwischen Reschen und Meran, besitzt an seinem westlichen Ende lauter Ausstülpungen, mit denen der wandernde Mensch geradezu ins Innere gezogen wird.

Ein vernünftiger Mensch kann gar nicht anders, als der Neugierde nachzugeben und sich dem Vinschgau in die Arme zu werfen.

Arthur & Ludwig, Das g‘stohlene Dachl

h.schoenauer - 28.10.2012

Historische Ereignisse, angesiedelt zwischen Gerücht und Überlieferung, werden erst dann halbwegs klar, wenn es einen Comic dazu gibt.

So versteht man flächendeckend die römische Geschichte erst, seit es Asterix gibt, und auch die verzwickte Lage in diesem Alpenreservat Tirol lässt sich erst seit Arthur & Ludwig halbwegs verstehen.

Renate Aichinger, WELT.ALL.TAG

h.schoenauer - 23.10.2012

Manche Begriffe lassen sich neu generieren, indem man sie in ihre Wortteile zerlegt wie die Glücksschweinrädchen in einem Glücksspielksautomaten. Die Wortteile sausen also als Zufallspartikel vor dem Auge ab und ergeben neue Begriffskonstellationen.

Renate Aichinger hat mit ihren gut zwanzig Geschichten und Gedichten die Welt atomisiert und aufgespalten in WELT.ALL.TAG. Die Protagonisten erleben dabei ihre Wahrnehmung als Fragmente eines Ganzen, das ihnen unerschlossen bleibt. Dennoch versuchen sie mit diesen kleinen Wahrnehmungen zurecht zu kommen und sich darin einzurichten wie in einer großen Welt.

Susanne Schaber, Lesereise Pyrenäen

h.schoenauer - 16.10.2012

Die Pyrenäen gelten als sagenhaftes Gebirge zwischen Spanien und Frankreich gelegen, worin sich allerhand seltsame Gestalten tummeln und wohin sich oft alte Geschichten zurückgezogen haben, um zu überleben.

Susanne Schaber stellt in ihrer Lesereise einige dieser unverwechselbaren Eigentümlichkeiten vor und beginnt diese mit dem Mythos um den Schriftsteller Walter Benjamin. Von ihm wird ja immer zuerst sein Ende erzählt, ehe man überlegt, wer er vorher gewesen ist.