Unterhaltung

Ulrike Kotzina, Verschwunden

h.schoenauer - 24.07.2016

Was passiert eigentlich, wenn jemand, der das Verschwinden von Personen und Dingen bemerkt, selbst verschwindet?

Ulrike Kotzina stellt in ihrem Roman „Verschwunden“ eine fertige Idylle vor, die sich allmählich auflöst und verschwindet. In sechs Kapiteln, die immer länger und kälter werden, löst sich eine Bilderbuchszenerie in Luft auf.

Clemens J. Setz, Die Stunde zwischen Frau und Gitarre

h.schoenauer - 30.06.2016

Kluge Titel evozieren die ganze Welt durch einen idealen Sehschlitz. Die Stunde zwischen Frau und Gitarre ist vielleicht ein Stillleben, das zu einem Wimmelbild ausgeufert ist.

Clemens Setz lässt mit seinem tausendseitigen Roman nie einen Zweifel aufkommen: Jeder Satz dieses Mammutwerkes ist notwendig, um auch wirklich halbwegs alles auszuspucken, was sich in der Hauptfigur über eine gefühlte Ewigkeit hin täglich ansammelt und von früher her aufgestaut hat.

Elisabeth Schicketanz / Robert Boulanger, Plan B

h.schoenauer - 28.06.2016

Das Digitale kämpft gegen das Animalische und ist vielleicht identisch damit! Wer einmal ein File um diesen Kampf hat verschicken wollen, kennt das Gefühl, plötzlich am Präsentierteller eines Geheimdienstes zu liegen.

Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger lassen bereits auf der Eingangsseite mit den biographischen Angaben keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie hervorragende Liebhaber von Hunden und Experten der digitalen Welt sind. Beide Welten sind folglich die Leitschienen für einen Wiener Spionagethriller, der eine Story ausrollt, die jeden von uns überrumpeln könnte, sofern wir eine Maus oder eine Hundeleine halten können.

Wolfgang Pollanz, Das Buch Elvis / Unten in Tupelo / Morrison an der Mur

h.schoenauer - 26.06.2016

In der guten alten Pop-Musik gibt es Heroen, Götter, Glitzer, Fans und Anbetungen wie in einer handfesten Religion. Die Mythen des auftretenden Pop-Personals sind ähnlich gestrickt wie Schöpfungsberichte oder Sagen des klassischen Altertums.

Wolfgang Pollanz erzählt in der Serie „Pop kommt auf den Kürbis“ von den Auswirkungen der Pop-Musik auf die steirische Kürbisgegend und stellt im Umkehrschluss die These auf, dass wesentliche Teile der Pop-Musik in der Steiermark entstanden oder wenigstens dort aus dem Kürbis gekrochen sind.

Martin Amanshauser, Der Fisch in der Streichholzschachtel

h.schoenauer - 09.06.2016

Um eine Gesellschaft so halbwegs allumfassend und gerecht beschreiben zu können, bedarf es eines außenliegenden Erzählstandpunktes, der ein Minimum an Überblick verspricht.

Martin Amanshauser verwendet für seine epochale Piraten-Saga „Der Fisch in der Streichholzschachtel“ gleich zwei erzählende Ausgucke. Zum einen lässt er den Ich-Erzähler Fred aus der Sicht einer desaströsen Karibikfahrt in der Gegenwart erzählen, zum anderen schickt er den italienischen Chronisten Salvino als zweiten Ich-Erzähler an Bord eines Piratenschiffes in einen Zeitflash dreihundert Jahre zurück.

Piersandro Pallavicini, Erben auf Italienisch

h.schoenauer - 31.05.2016

Spätestens seit der Komödie Scheidung auf Italienisch hat das Qualitätsmerkmal „italienisch“ etwas von pfiffig, pragmatisch und alltagskonform. Erben auf Italienisch ist also ein Vorgang, bei dem die Beteiligten klug auf den eigenen Vorteil achten.

Piersandro Pallavicini kümmert sich in seinen Romanen vorwiegend um jene Altersklasse, die kurz vor dem Sterbebett noch einmal die Sau rauslässt. Nach dem grandiosen „Ausfahrt Nizza“, wo durchgegraute Protagonisten mit viel PS und Getränken alles bis zum Morgengrauen geklärt haben, kommt in „Erben auf Italienisch“ ein Industrieller ins letzte Scheinwerferlicht des Daseins. Die einen halten ihn für dement, die anderen für gefährlich.

Bernhard Aichner, Totenhaus

h.schoenauer - 15.05.2016

Müde Schülerinnen, Lehrerinnen und Bibliothekarinnen träumen davon, dass sie etwas gelesen haben, ehe sie eingeschlafen sind, ohne dass sie etwas gelesen haben.

Bernhard Aichners Thriller-Literatur zielt darauf ab, den Menschen ein Gefühl von Lektüre zu vermitteln, ohne dass sie je eine Lektüre betreiben müssen. Nach Totenfrau heißt der neue Roman jetzt Totenhaus, aber der Titel wird ohnehin kaum genannt, man verlangt nach dem neuen Aichner oder, wenn man Aichner-Profi ist, nach dem weißen, nachdem der erste schwarz gewesen ist.

Joachim Zelter, Wiedersehen

h.schoenauer - 12.05.2016

Was mag da Aufregendes herauskommen, wenn in Tübingen eine Novelle gedruckt wird, worin zwanzig Jahre nach der Matura sich Lieblingslehrer und Lieblingsschüler treffen und beide als Germanisten unterwegs sind?

Joachim Zelter lässt gar keinen Zweifel aufkommen, mit der Novelle will er eine zickige Begebenheit abgeklärter Menschen beschreiben, die alles schon erlebt haben und daher nichts mehr erleben wollen. „Wiedersehen“ geht von der Konstellation aus, die im Schulbetrieb immer wieder vorkommt: nach der Schule wird diese verklärt und die ehemaligen Lehr-Sonderlinge werden zu Göttern.

Daniel Wisser, Ein weißer Elefant

h.schoenauer - 10.05.2016

Romane aus der Arbeitswelt sind im Idealfall grotesk, um so das Ungerechte, Grausame und Sinnlose mit einem Restnutzen an Lust auszustatten.

Daniel Wisser wählt rund um den „weißen Elefanten“ die pure Groteske, um der verschrobenen Wirklichkeit auf die Spur zu kommen. Ein weißer Elefant ist ein Arbeitstier, das auf dem Papier steht oder in einem Arbeitsgebäude den Körper während der Dienstzeit abstellen muss.

Felix Römer, Verhinderter Held

h.schoenauer - 08.05.2016

Im Poetry Slam ist zwar jeden Tag die Hölle los und man weiß nie, wie der Abend ausgeht, die Heldinnen und Helden freilich reisen meist mit einer persönlichen Lyrik-Bibel an, die sie sich selbst geschrieben haben.

Felix Römer ist zwischen den Auftritten mit handfester Lyrik unterwegs, die papierene Brücke zum Publikum ist als lyrische Kampfschrift im Umlauf. Nach längeren Episoden ist jeweils ein QR-Code abgedruckt, durch den man rasch zu den mündlichen Realisationen des eben gelesenen Textes gelangt.