Unterhaltung

Lisa Lercher, Faule Marillen

h.schoenauer - 05.05.2016

Regionalkrimis haben meist die Struktur eines Faltprospektes, der in geographischen Belangen dem Tourismus und in menschlichen Agenden der Psychiatrie huldigt. Gute Regionalkrimis führen also das touristische Publikum der Hotellerie und die Einheimischen der Psychiatrie zu.

Lisa Lercher hat sich für die Bestätigung dieser These die Wachau ausgesucht. Der Major Eigner ist zu seinem sechzigsten Geburtstag in die Donau gefallen, wird gerade noch gerettet und ist seither gaga, also pensionsreif. Eigentlich arbeitet er in Wien, aber wo immer er sich aufhält, bricht ein Fall aus dem Boden. So auch in der Wachau, wo Kinder wie in einem Marillen-Film auf einer Baustelle spielen und ein menschliches Skelett entdecken.

Matthias Politycki, 42,195

h.schoenauer - 21.04.2016

Der echte Marathonlauf endet mit dem Tod. Der moderne Läufer rückt diesem möglichst nah an die Pelle und überwindet ihn. Freilich bleibt eine Todessehnsucht, sodass der Marathonläufer ständig neue Läufe in das Gelände setzen muss.

Matthias Politycki schreibt sich mit 42,192 die Kilometer einzeln vom Leib. Sein Essay ist in die Kilometer eines Marathonlaufs unterteilt und gibt in etwa wieder, was durch ein laufendes Hirn an Gedanken durchfließt, wenn die Versorgung mit Energie und Sauerstoff ans Limit kommt. Es handelt sich dabei um keinen Ratgeber, außer dem Rat, das Laufen als etwas Kluges zu begreifen.

Didi Drobna, Zwischen Schaumstoff

h.schoenauer - 14.04.2016

Im Idealfall schlägt eine bislang unbemerkte Literatur mit Wucht in der Lesercommunity ein und löst Neugierde, Freude und Diskussion aus. Durch die Aktion „Innsbruck liest“ ist heuer der bislang nur Insidern geläufige Roman „Zwischen Schaumstoff“ zu einem Kulturgut für die ganze Stadt geworden.

Im Roman von Didi Drobna geht es ungewöhnlich frech zu, denn die Heldinnen haben ihr Leben noch vor sich und wollen es anders gestalten, als man es ihnen mit diversen Tricks schmackhaft machen will. Die 16-jährige Lisa und die 7-jährige Daisy sind zu Beginn des Romans noch Teil einer Familienaufstellung, die sich aber schon nach den ersten Seiten als Fehlaufstellung erweist. Vater und Mutter schreien sich planlos durch den Haushalt, die Tante kann als Ärztin vermutlich nicht einmal Blutdruck messen und die Oma stirbt einen Sekundentod.

Peter Oberdorfer, Schweres Gift

h.schoenauer - 10.04.2016

Im Bereich der inneren Sicherheit der Wiener Szenerie gibt es allgemein nur schwere Fälle, die von einem schwerfälligen Beamtenapparat nur mühsam abgearbeitet werden können.

Selbstverständlich ist in Peter Oberdorfers Wien-Krimi kein normales sondern schweres Gift im Einsatz. Nicht nur der Beamtenapparat legt alles als großen Fall aus, auch in den Zeitungen werden die Ereignisse schwer und groß dargestellt, dabei gilt die Faustregel, je kleinformatiger das Blatt, umso schwerer der Fall.

Bernd Schuchter, Innsbruck abseits der Pfade

andreas.markt-huter - 16.03.2016

Gerade in Zeiten der Apps und Maps braucht es zum Entschleunigen zwischendurch diesen guten alten „Führer“, in dem man sich innen über die eigene Reise orientieren kann und an dem außen am Verschleiß die anderen beurteilen können, wie intensiv man die Reise nimmt.

Bernd Schuchter leitet mit seinem Entschleunigungs-Führer den Gast tatsächlich abseits der üblichen Pfade durch die Stadt Innsbruck, und dennoch werden die sogenannten Musts nicht ausgeklammert. So gibt es für die Kernzone, die natürlich immer wieder das Goldene Dachl aufblitzen lässt, eine Sommer- und Winterwanderung, weil die Stadt heftig dem touristischen Wabern zwischen Sommer und Winter ausgesetzt ist. Allein die Glühwein-Standln oder Jodler-Boxen überstülpen die Stadt je nach Jahreszeit mit einer unverwechselbaren Geruchs- und Akustikblase.

Georg Haderer, Engel und Dämonen

h.schoenauer - 17.02.2016

Wenn es in der Gesellschaft wirklich verbrecherisch rund geht, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Engeln und Dämonen, weil die Ermittler zu Tätern werden und die Täter ermitteln. Die Guten und die Bösen haben sich im großen Verbrechen gegenseitig Schachmatt gestellt.

Georg Haderer lässt in seinem quer über die Alpen verschütteten Kriminalfall den Chefermittler Major Schäfer im eigenen Delirium verschwinden. Von der ersten Seite an geistert er durch unbekannte Wälder Richtung Schweiz, er weiß selbst, dass er das Gedächtnis verloren hat, und klammert sich an die Hoffnung, dass man ihn findet, aber ihn dann nicht seines Dämons beraubt. Schäfer ist restlos überfordert, neben einer therapeutischen Grund-Behandlung haben es ihm vor allem esoterische Seminare angetan.

Andreas Renoldner, Müllmänner

h.schoenauer - 29.01.2016

Die wirklich guten Krimis sind literarisch gesehen einfach Romane und umgekehrt werden gute Romane offensichtlich aus Markt-Gründen oft als Krimis ausgegeben.

Ein Krimi-Hybrid der aufregenden Art ist Andreas Renoldners Roman „Müllmänner“. Durch den erzähltechnisch fein austarierten Trick, ein kaputtes Ich immer nur so viel Logisches erzählen zu lassen, wie es dem Leser auch logisch vorkommt, wird bewirkt, dass der Leser sich immer dichter an die Psyche des Helden herantastet und schließlich mit ihm einem „verbrecherisch guten Ende“ entgegen zittert.

Thomas Sautner, Die Älteste

h.schoenauer - 01.01.2016

Wenn wir der Literatur selbstverständlich Kräfte zuschreiben, die weit in unser logisches, biologisches und historisches Bewusstsein hineinwirken, dann dürfen wir auch in der Medizin ab und zu Kräfte ins Spiel bringen, die über das Zell-logische Verhalten unseres Körpers hinausgehen.

Thomas Sautner stellt in seinem Roman „Die Älteste“ eine Frau mit magischen Kräften vor, die zumindest den Anhängern der medizinischen Alltagskultur den Mund offen stehen macht. Die Ich-Erzählerin Sophie hat ein erfolgreiches, Termin-dichtes Leben hinter sich, als ihr die Diagnose ausgehändigt wird: Kopftumor. Als die üblichen Therapien keinen Erfolg zeitigen, geht Sophie einem Gerücht nach. Im Waldviertel soll in einem Wohnwagen eine seltsame Alte leben, die ungewöhnliche Heilmethoden anwendet.

Armin Baumgartner, Almabtreibung

h.schoenauer - 27.10.2015

Idyllen schreien letztlich danach, dass sie aufgerissen oder zum Platzen gebracht werden. Ein Held tut sich eine Idylle nur an, weil er sich von ihr richtig demütigen lassen kann.

Schon allein der Titel verheißt in Armin Baumgartners Roman nichts Glattes. Was man im ersten Hinschauen noch für einen gelungenen Viehabtrieb nach einer satten Saison deuten kann, entwickelt sich tatsächlich zu einer Perversion.

Peter May, Beim Leben deines Bruders

h.schoenauer - 29.09.2015

Entlegene Inseln müssen einen besonders ausgeprägten Heimat-Magnetismus haben, sonst würden ihre wenigen Bewohner sofort ins Meer oder in die Welt hinaus gespült werden.

Peter May zeigt anhand eines Mordfalles auf der Hebriden-Insel Lewis, wie diese harte Gegend ihre Krallen in das Fleisch der Bewohner knallt und nicht mehr los lässt. Der ehemalige Lewis-ianer Fin muss sein Leben umkrempeln, er tritt aus der Polizei in Edinburgh aus, lässt sich aus einer irreparablen Ehe scheiden, als sein Kind tödlich überfahren wird, und sucht seine Wurzeln auf der Insel auf, um vielleicht wieder Halt zu gewinnen.