Müde Schülerinnen, Lehrerinnen und Bibliothekarinnen träumen davon, dass sie etwas gelesen haben, ehe sie eingeschlafen sind, ohne dass sie etwas gelesen haben.

Bernhard Aichners Thriller-Literatur zielt darauf ab, den Menschen ein Gefühl von Lektüre zu vermitteln, ohne dass sie je eine Lektüre betreiben müssen. Nach Totenfrau heißt der neue Roman jetzt Totenhaus, aber der Titel wird ohnehin kaum genannt, man verlangt nach dem neuen Aichner oder, wenn man Aichner-Profi ist, nach dem weißen, nachdem der erste schwarz gewesen ist.

Was mag da Aufregendes herauskommen, wenn in Tübingen eine Novelle gedruckt wird, worin zwanzig Jahre nach der Matura sich Lieblingslehrer und Lieblingsschüler treffen und beide als Germanisten unterwegs sind?

Joachim Zelter lässt gar keinen Zweifel aufkommen, mit der Novelle will er eine zickige Begebenheit abgeklärter Menschen beschreiben, die alles schon erlebt haben und daher nichts mehr erleben wollen. „Wiedersehen“ geht von der Konstellation aus, die im Schulbetrieb immer wieder vorkommt: nach der Schule wird diese verklärt und die ehemaligen Lehr-Sonderlinge werden zu Göttern.

Romane aus der Arbeitswelt sind im Idealfall grotesk, um so das Ungerechte, Grausame und Sinnlose mit einem Restnutzen an Lust auszustatten.

Daniel Wisser wählt rund um den „weißen Elefanten“ die pure Groteske, um der verschrobenen Wirklichkeit auf die Spur zu kommen. Ein weißer Elefant ist ein Arbeitstier, das auf dem Papier steht oder in einem Arbeitsgebäude den Körper während der Dienstzeit abstellen muss.

Im Poetry Slam ist zwar jeden Tag die Hölle los und man weiß nie, wie der Abend ausgeht, die Heldinnen und Helden freilich reisen meist mit einer persönlichen Lyrik-Bibel an, die sie sich selbst geschrieben haben.

Felix Römer ist zwischen den Auftritten mit handfester Lyrik unterwegs, die papierene Brücke zum Publikum ist als lyrische Kampfschrift im Umlauf. Nach längeren Episoden ist jeweils ein QR-Code abgedruckt, durch den man rasch zu den mündlichen Realisationen des eben gelesenen Textes gelangt.

Regionalkrimis haben meist die Struktur eines Faltprospektes, der in geographischen Belangen dem Tourismus und in menschlichen Agenden der Psychiatrie huldigt. Gute Regionalkrimis führen also das touristische Publikum der Hotellerie und die Einheimischen der Psychiatrie zu.

Lisa Lercher hat sich für die Bestätigung dieser These die Wachau ausgesucht. Der Major Eigner ist zu seinem sechzigsten Geburtstag in die Donau gefallen, wird gerade noch gerettet und ist seither gaga, also pensionsreif. Eigentlich arbeitet er in Wien, aber wo immer er sich aufhält, bricht ein Fall aus dem Boden. So auch in der Wachau, wo Kinder wie in einem Marillen-Film auf einer Baustelle spielen und ein menschliches Skelett entdecken.

Der echte Marathonlauf endet mit dem Tod. Der moderne Läufer rückt diesem möglichst nah an die Pelle und überwindet ihn. Freilich bleibt eine Todessehnsucht, sodass der Marathonläufer ständig neue Läufe in das Gelände setzen muss.

Matthias Politycki schreibt sich mit 42,192 die Kilometer einzeln vom Leib. Sein Essay ist in die Kilometer eines Marathonlaufs unterteilt und gibt in etwa wieder, was durch ein laufendes Hirn an Gedanken durchfließt, wenn die Versorgung mit Energie und Sauerstoff ans Limit kommt. Es handelt sich dabei um keinen Ratgeber, außer dem Rat, das Laufen als etwas Kluges zu begreifen.

Im Idealfall schlägt eine bislang unbemerkte Literatur mit Wucht in der Lesercommunity ein und löst Neugierde, Freude und Diskussion aus. Durch die Aktion „Innsbruck liest“ ist heuer der bislang nur Insidern geläufige Roman „Zwischen Schaumstoff“ zu einem Kulturgut für die ganze Stadt geworden.

Im Roman von Didi Drobna geht es ungewöhnlich frech zu, denn die Heldinnen haben ihr Leben noch vor sich und wollen es anders gestalten, als man es ihnen mit diversen Tricks schmackhaft machen will. Die 16-jährige Lisa und die 7-jährige Daisy sind zu Beginn des Romans noch Teil einer Familienaufstellung, die sich aber schon nach den ersten Seiten als Fehlaufstellung erweist. Vater und Mutter schreien sich planlos durch den Haushalt, die Tante kann als Ärztin vermutlich nicht einmal Blutdruck messen und die Oma stirbt einen Sekundentod.

Im Bereich der inneren Sicherheit der Wiener Szenerie gibt es allgemein nur schwere Fälle, die von einem schwerfälligen Beamtenapparat nur mühsam abgearbeitet werden können.

Selbstverständlich ist in Peter Oberdorfers Wien-Krimi kein normales sondern schweres Gift im Einsatz. Nicht nur der Beamtenapparat legt alles als großen Fall aus, auch in den Zeitungen werden die Ereignisse schwer und groß dargestellt, dabei gilt die Faustregel, je kleinformatiger das Blatt, umso schwerer der Fall.

Gerade in Zeiten der Apps und Maps braucht es zum Entschleunigen zwischendurch diesen guten alten „Führer“, in dem man sich innen über die eigene Reise orientieren kann und an dem außen am Verschleiß die anderen beurteilen können, wie intensiv man die Reise nimmt.

Bernd Schuchter leitet mit seinem Entschleunigungs-Führer den Gast tatsächlich abseits der üblichen Pfade durch die Stadt Innsbruck, und dennoch werden die sogenannten Musts nicht ausgeklammert. So gibt es für die Kernzone, die natürlich immer wieder das Goldene Dachl aufblitzen lässt, eine Sommer- und Winterwanderung, weil die Stadt heftig dem touristischen Wabern zwischen Sommer und Winter ausgesetzt ist. Allein die Glühwein-Standln oder Jodler-Boxen überstülpen die Stadt je nach Jahreszeit mit einer unverwechselbaren Geruchs- und Akustikblase.

Wenn es in der Gesellschaft wirklich verbrecherisch rund geht, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Engeln und Dämonen, weil die Ermittler zu Tätern werden und die Täter ermitteln. Die Guten und die Bösen haben sich im großen Verbrechen gegenseitig Schachmatt gestellt.

Georg Haderer lässt in seinem quer über die Alpen verschütteten Kriminalfall den Chefermittler Major Schäfer im eigenen Delirium verschwinden. Von der ersten Seite an geistert er durch unbekannte Wälder Richtung Schweiz, er weiß selbst, dass er das Gedächtnis verloren hat, und klammert sich an die Hoffnung, dass man ihn findet, aber ihn dann nicht seines Dämons beraubt. Schäfer ist restlos überfordert, neben einer therapeutischen Grund-Behandlung haben es ihm vor allem esoterische Seminare angetan.