Alle Bücherfans sind von diesem Titel magisch angezogen: Tief sind wir gestapelt! Vor dem Auge tun sich Bücherstapel auf, die eine Welt versprechen, tief hineingestapelt bis ins Erdinnere.

Christian Steinbacher ist ein Meister der kleinen semantischen Drehung. Wie von einem Hör- oder Sehfehler gesteuert nehmen die Bedeutungen plötzlich einen anderen Weg, obwohl sie an der Oberfläche keine Irritationen aufweisen.

Lyrik muss sich fallweise eine eigene Bahn durch morastiges Gelände bahnen, dabei besteht ihre Widerstandskraft darin, dass sie sich mitten durch den Alltag eine tragfähige Spur bahnt, ähnlich einem Schneeflug, der alles für die Fahrt am Morgen freihält.

Annemarie Regensburger ist die große Widerstandskräftige Tirols, mit ihren Dialektgedichten hält sie den Oberflächlichen einen Tiefenspiegel vors Gesicht, mit ihren raren spitzen Epigrammen setzt sie den Floskeln auf den Wegwisch-Displays Grenzen, mit ihren Ermunterungen aus dem der Mitte des Alltags räumt sie verlässlich das Dickicht beiseite, um mit klaren Sätzen durchzustoßen auf die Hinterseite der oft rasch ausgesprochenen Vorurteile. 

Während die große Literatur wie massive Brückenpfeiler in das wilde Wasser der Gegenwart gerammt ist, sind die Miniaturen am ehesten mit dem Fugenkitt rund um wasserdichte Erlebnis-Elemente zu vergleichen.

Johannes Twaroch nennt seine Kurzprosa stilles Strömen der Zeit, unter der großen Fläche von Weltnachrichten perlen immer diese Minutentexte hervor, oft nur bemerkbar, wenn man als Leser eine Auszeit nimmt, und sei es für Minuten.

Filmtitel sind oft für eine Epoche so prägend, dass ihre Schlüsselwörter sich wie ein visueller Ohrwurm in den Zeitgenossen festsetzen. „Der Himmel über Berlin“ überstrahlt seit 1987 als poetische Äußerung alles, was mit Himmel und Berlin zusammenhängen könnte.

Peter Reutterer setzt seine Gedichte mit Geschichten in zwei Kapiteln auf die Fundamente dieser Himmel-Berlin-Poesie.

Egal ob auf dem Notizblock als knisternder Gestus aufgekritzelt oder auf einem Display als üppiger Fingerzeig ausgewischt: wenn man einen Strich zieht, kommt darunter ein Ergebnis zu liegen, egal wie richtig oder falsch es ausgefallen ist.

Friedrich Hahn setzt als Künstler des Wortes und des Bildes seine aktuellen Werke vorsichtshalber gleich unter den Strich und lädt die Leserschaft dazu ein, sich den Weg zu diesem Ergebnis auszumalen. Dabei verwischen sich die Gattungen Schrift, Bild, Collage zu einer Performance, die sich „Bilder zum Lesen / Texte zum Schauen“ nennt.

Sprachminiaturen sind treffsichere abgerundete Fügungen, die sich wie Gebilde mit Widerhaken auf dem Filz des Alltags festsetzen.

Rudolf Kraus setzt mit dieser feinen additiven Methode, wo überraschende Wendungen wie Magnetsteine auf die Fläche gesetzt werden, durchaus großen Themen zu wie dem Tod. Nicht nur das nicht Voraussehbare, „wie wird denn wohl mein Tod ausschauen?“, spielt eine Rolle, sondern manche Ereignisse spitzen sich schon zu Lebzeiten so dramatisch zu, dass ihnen der Tod den Deckel drauf setzen muss. So kümmern sich die Sprachminiaturen nicht nur um die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, sondern mindestens so heftig um die Ars vivendi, die Kunst des Lebens.

Literatur ist nicht nur das fertige Ergebnis, das vielleicht als Buch-Kunstwerk vorliegt, Literatur kann auch zu einer Lebensform werden sowohl für den Produzenten als auch für den Rezipienten.

Franz Dodel arbeitet seit über einem Jahrzehnt bereits an einer Vermessung der Welt, der eine einfache Regel zugrunde liegt: Jeden Tag schreiben, das Poetisierte in Zeilen zu fünf und sieben Silben fassen. So steht die Welt mittlerweile beim vierten Band, der den Titel Mikrologien (Kleinigkeiten) ausgefasst hat, mehr ein Ordnungsprinzip als eine Inhaltsangabe.

Einem Kunstwerk ist es natürlich egal, ob man sich davor verneigt oder nicht, zwischendurch muss man einem Kunstwerk einfach aus emotionalen Gründen sagen, dass es gelungen ist. Und das sagt man auch der Autorin.

Barbara Hundegger hat mit den Dante-reloaded-Gedichten ein perfektes Kunstwerk geschaffen, das im Kosmos der Literaturgeschichte voll verankert ist (Dante) und gleichzeitig die Gegenwart in einen zeitlosen Erkenntniszustand versetzt. Ja, so schaut das Jahr 2014 in Europa aus, daran kauen die Menschen, mit solchen Apps „wie der Mensch umdreht geht“ versuchen sie die Lage zu begreifen und auszuhalten.

Noch mehr als bei üblichen Buchtiteln kommt es bei Gedichtbänden darauf an, im Titel bereits jene Poesie auszuleuchten, die in den Gedichten später aufgesucht wird.

Renate Aichingers Wortkosmos „wundstill“ erweckt sofort Bilder, die ins lyrische Herz treffen. Vielleicht kommt nach dem Schreien der Verwundeten in Trakls Grodek jene Stille auf, die wundstill ist, vielleicht ist es das Kind, das sich verletzt hat und jetzt wundstill gemacht ist, vielleicht ist es die Wunde, die einen ein Leben lang schon quält, und jetzt in eine Stille eingetreten ist hinter dem Pochen.

Das Überraschende an Gedichten liegt knapp unter der Außenhaut der verwendeten Begriffe. Lyrik ist ja auch dazu da, Sprache auszuprobieren, einer extremen Laborsituation auszusetzen und erste Erfahrungswerte dieser getesteten Bedeutungen für den Alltagsbetrieb zu sammeln.

Isabella Breier stellt in der Konstellation „Anfang von etwas“ acht größere Versuchsanordnungen auf, in denen die Sprache unter dem Eindruck ausgewählter Sinnesorgane stimuliert wird bis zur Irritation der Anwenderin, die durchaus ein klassisches lyrisches Ich sein kann.