Erwin Uhrmann, Abglanz Rakete Nebel

In der guten Lyrik ist nicht nur die Schwerkraft als solche aufgehoben, im lyrischen Kraftfeld verlieren die Wörter oft auch ihre ursprüngliche Bedeutung und legen sich neue semantische Flügel zu.

Erwin Uhrmann lockt mit seiner ungewöhnlichen Assoziationskette Abglanz-Rakete-Nebel die Leserschaft elegant ins Innere des Buches, wo die Gedichte und Bilder ausgebreitet sind wie ein stroboskopischer Flügelschlag. Fast alle Gedichte sind zweiseitig und in der Mitte gefaltet. An dieses Format halten sich auch die Bilder von Julian Tapprich, auf denen monumentale Stillleben zu sehen sind. Eine Arbeitsschaufel lehnt etwa feierlich in der Ecke, während ein Playmobil-Frosch aus dem Bild abzuhauen versucht. Die leicht verschwommen wirkenden Installationen zeigen aber ein klares Motiv: die Verstörung durch filetierten Alltag!

Etwas von dieser Verstörung sitzt naturgemäß in den Gedichten, die sich oft mit scheinbar konkreter Begrifflichkeit ins Bewusstsein des Lesers drängen. Mahagoni, Tageslänge, März, da kann man sich einzeln etwas darunter vorstellen, die Botschaft freilich liegt in der unerwartbaren Verknüpfung dieser Vorstellungen.

Wie alle Gegenwartsgedichte müssen sich frisch formulierte Bilder in einer sich ständig verändernden Gegenwart bewähren. Am Beispiel „Nizza“ (12) zeigt sich die Qualität dieser Gedichte. Während alle Welt vom Massaker in Nizza spricht, liegen hier Zeilen aus der Vor-Terror-Zeit offen, die jetzt mit dem Unglück bepflanzt eine Atmosphäre zwischen Trost und Aufruhr schaffen.

Nizza // Über dem Theater und Land liegt schon Jute / Flankiert von Tauben dein Schmerz / Der Platz im künstlichen Regen / Spielhaus und Clowns und Boulevards Rennwagen / Häuser aus Damast, / die Flucht macht Spiegel / aus Zimmer und Hohlraum. […]

In den behüteten Begriffen (behütet, Sommer, Staub) sitzt meist ein heimlicher Schrecken, so glänzt im Gedicht „Rakete“ die Atmosphäre noch etwas, aber alle Arbeiter sind tot, etwas ist schief gegangen bei der Zündung, oder die Rakete sollte alles zerstören, jedenfalls ist alles ausgerottet, das Besteck für den Wohlstand liegt ungebraucht im Nachmittag herum.

Selbst ein kindlicher Blick aus einem Fenster zeigt nichts Gutes, die Mähne eines toten Pferdes weht über dem butterweichen Saftfleisch im Wind. Überhaupt bringen die Pferde meist den Tod, im „Wiehern alter Gäule im Morgengrauen“ (60) erscheint der Ort als großes Loch, worin die Gestorbenen und Gefallenen versteckt sind, im Gedicht „Galopp Rakete Nebel“ (84) gerät die Welt aus den Fugen, ein Redner wird vielleicht hinter dem Rednerpult gesprengt und macht einen Punkt, irgendwas zischt beim Fenster herein und versetzt alles in ein Gelb, und dann springen alle Menschen aus der Leinwand und es ist besser, nicht ins Freie zu gehen.

Erwin Uhrmann schafft es, mit beruhigenden Versen Unruhe zu erzeugen, es wird Zeit, auf der Hut zu sein, beim Betrachten, beim Reden, beim Analysieren jener Dinge, die als Alltag um uns herumliegen. Seine Gedichte sind ein Wetzstein, um die Sinne zu schärfen.

Erwin Uhrmann, Abglanz Rakete Nebel. Gedichte, ill. v. Julian Tapprich.
Innsbruck: Limbus Verlag 2016, 102 Seiten, 10,00 €, ISBN 978-3-99039-077-1

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Erwin Uhrmann, Abglanz Rakete Nebel
Homepage: Erwin Uhrmann
Homepage: Julian Tapprich

 

Helmuth Schönauer, 27-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Erwin Uhrmann

Buchtitel

Abglanz Rakete Nebel. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Limbus Verlag

Illustration

Julian Tapprich

Seitenzahl

102

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-99039-077-1

Kurzbiographie AutorIn

Erwin Uhrmann, geb. 1978 in Amstetten, lebt in Wien.<br />Julian Tapprich, geb. 1982 in Zürich, lebt in Wien.