Daniel Suckert, Eigentlich
Eine der größten Errungenschaften der Erzählkultur ist die sogenannte romantische Ironie. Dabei tritt eine Figur aus ihrer Rolle heraus wie aus einem Kostüm und reflektiert über Fug und Unfug des eben Gesagten. Paradebeispiel dafür ist der gestiefelte Kater, der ein Stück gleichen Namens während der Aufführung kommentiert.
Eine ähnliche Ironie, wenn auch auf Basis des Alltagsgrusels, wendet Daniel Suckert in seinem Roman „Eigentlich“ an, worin es vordergründig um die Substanz des Alltags-Trashs geht.
Jeder, der hinter der Lärmschutzmauer durch Tirol rast und einen Blick über die Sichtkante riskiert, fragt sich beklommen, wie hat dieses Land nur so entgleisen können?
„Wenn es einen wesentlichen Unterschied zu den Therapien in Hamburg gibt, dann dieses Riesenmaß an Präsenz des Glaubens in den Sitzungen. Ständig verwiesen die Patienten auf eine Stelle im Koran, in den Hadithen oder der Tradition.“ (S. 125)
Auf eine unsichtbar lustvolle Art ist jeden Sommer Europa mit einer fruchtigen Eisschicht überzogen. Wie selbstverständlich wird überall Eis ausgerufen und erotisch verschleckt, dabei kommt das Spitzeneis aus einer Spezialisten-Familie, die vom Cadore aus den Dolomiten heraus die Welt erobert hat.
Wie bei einer Band tritt das künstlerische Individuum zurück und verneigt sich vor dem Band-Namen: The Unbearables.
Oft hilft ein Piktogramm, damit man sich etwas Abstraktes vorstellen kann. Im Falle der Fortuna steht eine Frau mit dem Rücken zum Zuschauer an einer laternenpfahlähnlichen blauen Säule und ist mit dem rechten Träger des Badeanzugs an einen Strich aus Sommer angekettet.
Wegen der schwarzen Milch des Paul Celan durfte das Wort „schwarz“ in der Literatur eine Zeitlang nur im Zusammenhang mit dem Holocaust verwendet werden. Ein paar Generationen später darf man jetzt wieder schwarzer Schnee sagen, wenn der Schnee schwarz ist.
Es gibt so messerscharfe Jahre, die eine Biographie in vorher und nachher trennen. Für die Jahrgänge der 1950er Jahre gibt es um 1970 herum diesen Einschnitt, wo der Hippie-Boom vorbei und der Kampf gegen den Vietnamkrieg aufgenommen ist. Als markanter Roman über diese Zeit gilt Peter Handkes „Der kurze Brief zum langen Abschied“. Darin fährt der Held einsam und abseits aller Weltgeschehnisse durch Amerika, um am Schluss seinem Bruder beim Holzfällen zuzuschauen.
Ein guter Roman ist wie ein Fußballspiel, Figuren rennen mehr oder weniger koordiniert einem Thema nach, Gedankengänge werden abgeblockt, plötzlich tun sich Alternativen auf, und zwischendurch gibt es starke Emotionen, wenn sich jemand verletzt hat oder gar sein Ziel erreicht, indem er das berühmte Goal macht.
Nirgendwo ist der Eisberg der Wahrnehmung so groß wie in der russischen Literatur. Wir sehen ab und zu die Spitzen von Dostojewski und Tolstoi aus einem Regal aufragen, aber darunter verbirgt sich ein literarischer Kontinent, der flächenmäßig mindestens so groß ist wie ganz Russland. Manche behaupten, an wehmütigen Tagen bestünde Russland zur Gänze aus Literatur.