Beziehung

Roland Reitmair, Innergebirg

h.schoenauer - 19.03.2014

Das Gebirge ist in der Literatur der Ort der letzten Klärung. Ob es sich nun um einen familiären Suizid handelt wie bei Thomas Bernhard oder um einen radikalen Hirnumschwung wie in Büchners Lenz, das Gebirge erscheint dabei als eine scharfe Klinge für die existenzielle Rasur.

Roland Reitmair macht diese geographische Reinigungsanlage noch eine Spur schärfer, indem er seinen Helden ins „Innergebirg“ schickt. Dass es dabei um Leben und Tod und um den Sinn des Lebens geht, wird sogar dem Helden Arthur von der ersten Zeile an klar. Er hat nämlich das Gefühl, gerade gestorben zu sein, aber andererseits sind ein paar Sinnesorgane noch in Funktion und er kann sich einen Rundgang durchs Innergebirge leisten.

Tanja Maljartschuk, Biografie eines zufälligen Wunders

h.schoenauer - 17.03.2014

Ein gutes Wunder besteht geradezu darin, dass es einmalig und unbeschreiblich ist. Wenn nun ein Wunder gar eine Biografie zustande bringt, ist das ein grandioser Sieg der Bürokratie.

Tanja Maljartschuk erzählt die Biografie der Lena und somit die jüngere Zeitgeschichte der Ukraine als Wunder.

Margarita Kinstner, Mittelstadtrauschen

h.schoenauer - 14.03.2014

Die Mittelstadt liegt literaturgeographisch vermutlich zwischen dem Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin und dem skurrilen Kleinod des „geometrischen Heimatromans“ von Gert Jonke.

Margarita Kinstner legt ihren Sound vom Mittelstadtrauschen markant über ein Gebilde, das vielleicht nur aus einem Punkt besteht, worin das volle Mittelmaß im Abfluss innehält. Die literarische Stadt beinhaltet alle Merkmale von Wien, aber wie die diese U-Bahnstationen, Plätze und Cafés angeordnet sind, deutet auf eine andere Ordnung hin als jene eines Chronisten oder Stadtplaners.

Franz Kabelka, Die Muschel

h.schoenauer - 12.03.2014

Reisen und Zeitreisen sind quasi die Komplementärmenge zum Alltag und somit ein lohnender Stoff, das Leben von der unsichtbaren Seite des Mondes her zu beleuchten.

Franz Kabelka greift in seinen Reiseerzählungen den Protagonisten unter die Arme der Sehnsucht, indem er nicht nur den Ablauf als Tourismus-Chronist im Auge behält sondern vor allem die Träume, die angelesenen Paradiese und die verschlungene Reiseliteratur mit ins Erzählboot nimmt.

Gwenaëlle Aubry, Niemand

h.schoenauer - 10.03.2014

Wenn Identitätsnachweise der Daten-Verwaltung versagen, hilft oft nur ein Roman, eine Nicht-Person oder einen Niemand zu beschreiben.

Gwenaëlle Aubry setzt in ihrem Roman eine klassische Vater-Sohn-Konstellation in den Mittelpunkt des Erzählens, darüber hinaus geht es um den Sinn von Romanen und das Aufschreiben und Erinnern als Therapie.

Ada Zapperi Zucker, Theater der Schatten

h.schoenauer - 07.03.2014

Manchmal muss man für sich Entfernungen in die richtigen Relationen setzen, um eine Geschichte begreifen zu können. So sind etwa mit dem Auge der Monarchie gemessen die Städte Lemberg und Meran gleich weit von Wien entfernt.

Ada Zapperi Zucker beschreibt in ihrem Roman „Theater der Schatten“ den Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie an ihren Rändern.

Erika Kronabitter, Nora. X

h.schoenauer - 03.03.2014

Die Erziehung hängt an uns herunter wie das Fell an einem Bären. Darf man noch zu Lebzeiten an diesem Fell herumzupfen?

Erika Kronabitter beschreitet mit einsichtigen Bildern eine Führung durch die Seele einer gequälten Kindheit. Zu diesem Zweck setzt sie den Roman auf ein Doppelgleis, einmal wird in poetischen Standbildern das Verhalten von Menschen an gewissen unauffälligen Knackpunkten abgeknipst, zum anderen leisten sich zwei Figuren im Sinne Musils eine Analyse mit friedfertigem Ausgang.

Christoph W. Bauer, In einer Bar unter dem Meer

h.schoenauer - 26.02.2014

Was für eine verheißungsvolle Erzählkonstellation! In einer Bar unter dem Wasser sind die Figuren offensichtlich ausgesetzt dem relaxenden Gefühl bei Getränken und dem Druck schwerer Geschichten, die auf ihnen lasten wie auf einem U-Boot.

Christoph W. Bauer führt in 19 Erzählungen tatsächlich unscheinbare Gegebenheiten unter dem Druck lang angestauter Verhältnisse einem explosiven Ausbruch zu. Es sind fast immer flach atmende Leute, denen einmal im Leben etwas aus dem Ruder läuft und sie somit aus ihrer Gewöhnlichkeit wirft.

Herbert J. Wimmer, Membran

h.schoenauer - 24.02.2014

In der dichtesten Form des Romans fallen Inhalt und Anwendung zusammen und es entsteht oft eine eigene Roman-Gattung.

Herbert J. Wimmer konzipiert mit seinem Membran-Roman eine Vorgehensweise, bei der die Trennschicht zwischen Text und Leser möglichst dünnhäutig ist, so dass Teile der Leseranwendung in den Text strömen und dieser sich im Leser verfestigt.

Elias Schneitter, Zirl.Innweg 8

andreas.markt-huter - 19.02.2014

Alles Neue beginnt mit einer Krankheit, weil Neues nur entstehen kann, wenn das Alte abgeworfen wird, und das Loswerden des Alten bezeichnet Egon Friedell als Krankheit.

In Elias Schneitters Erzählung „Zirl. Innweg 8“ kämpft ein erzählendes Ich ein Leben lang damit, die Kindheit im Lebensprogramm unterzubringen und als gelungen zu beschreiben.