Chris Vick, Allein auf dem Meer
„Der Spaß war vorbei. Die Angst lag mir jetzt wie ein kalter Stein im Magen. Ich starrte auf die Rettungsweste, aber meine zitternden Hände wollten nicht wie ich. Ich war immer noch dabei, die Weste anzulegen, als uns eine Welle traf. Ich stolperte und stürzte, ließ die Rettungsweste fallen, ließ sie, vor lauter Dummheit und Ungeschick, einfach los. Ich sah, wie sie davonschlidderte, über das Deck rutschte und ins Wasser fiel.“ (S. 9)
Der 15-jährige Bill aus England trainiert mit sechs weiteren Jugendlichen zwischen vierzehn und sechzehn Jahren für einen Segelwettbewerb. Geführt wird das Boot Pandora von einem Kapitän und seinem Ersten Offizier. Als wie aus dem Nichts ein wilder Sturm aufbraust, erleidet das Segelboot Schiffbruch. Alle, außer Bill, können das Rettungsschlauchboot erreichen.
„Letztes Schuljahr habe ich etwas gesehen, was ich nie mehr vergessen werde. Am ersten April kam Jordan Springer in die Cafeteria der Haver High marschiert und hat sich in Brand gesetzt. Aber es war kein Aprilscherz. Der Typ hat sich mit Benzin übergossen und ein Streichholz angerissen. Mit voller Absicht.“ (S. 7)
„Für die Highschool gibt es drei Regeln, unauslöschbar eingemeißelt ins interstellare Gefüge des Universums. Regel Nummer eins: Es ist alles Bullshit. Und bevor ihr direkt denkt: Was will diese verkackte kleine Heulsuse eigentlich von uns?, sollte euch eins klar sein: Ich bin nicht klein. Ich bin ein Koloss. Sechzehn Jahre alt und längst jenseits der Hundert-Kilo-Schallgrenze. Heilige Scheiße, sagt ihr jetzt, oder: Nicht dein Ernst. Ach, das findet ihr schon krass?“ (S. 7)
„Hofkirche, Innsbruck, 2021. Heutzutage betritt man die Kirche durch eine Seitentüre im Innenhof. Ich fühle mich klein und fehl am Platz als ich eintrete und plötzlich die mächtigen Rücken der Schwarzen Mander vor mir aufragen. Auf Zehenspitzen gehe ich um sie herum. In der Mitte befindet sich der Kenotaph, das monumentale, aber leere Grabmal, bewacht von den Ahnen des Verstorbenen. Maximilian I. von Habsburg, 1459-1519, der letzte Ritter.
„In den Augen der Menschen aus Gerstenfeld waren die Leute der Kaderschule so etwas wie Zauberer. Die Kaderschule machte die Kinder der Bauern neugierig – vor allem auch deshalb, weil es in der Kaderschule ein kleines Mädchen gab. Alle kannten sie ausnahmslos seinen Namen: Sonnenblume.“ (S. 8)
„Die Welt endete an dem Tag, an dem ich den Herrn des Waldes tötete. Es war Ama, die ihn als Erste entdeckte. Sie war die Älteste von uns und auch die Schnellste, deshalb führte immer sie unsere Jagdexpeditionen an. Ich dagegen musste ganz hinten gehen, tausend Schritt hinter den anderen, zusammen mit Hona, Amas kleiner Schwester.“ (S. 5)
„Über Evolution weiß ich Bescheid. Dem Sohn einer Professorin für Evolutionsbiologie bleibt gar nichts anderes übrig. Und immerhin bin ich schon dreizehn. Bei jeder möglichen Gelegenheit zeigt mir meine Mutter, wie die Evolution dauernd in unser Leben eingreift.“ (S. 10)
„»Ich saß allein draußen, als der mächtige Ase plötzlich dastand. Uralt und grau, mit seinem langen Bart und Umhang. Er sah mich mit seinem einen Auge an und sagte mir, ich solle in die Zukunft schauen.« Sie knetete ihre Hände so fest, dass es wehtat. »Jetzt wünschte ich, ich hätte es nicht getan.« »Was hast du gesehen?«, fragte Od vorsichtig. […] »Ich sage es dir und du lässt es aufschreiben. Jemand wird meine Prophezeiung in tausend Jahren lesen. Das ist meine Botschaft an den Raben.« (S. 11)
„Zum ersten Mal seit damals stand ich am Bahnsteig des Gare de Lyon Perrache. Nun jedoch ohne Mama und Papa, denn meine Eltern fanden, dass eine Sechzehnjährige das Recht hatte, die Welt allein zu erkunden. Sie stellten sich das wie in Büchern oder Filmen vor, in denen Jugendliche die verrücktesten Abenteuer erleben und darüber erwachsen werden.“ (S. 14)
Ich war im Schlösserknacken, Mauernerklettern, Stürzeabfangen, Lügenspinnen, Stimmenwerfen, Fallenbauen und Fallenfinden ausgebildet worden und war außerdem ein passabler Bogenschütze, Fiedler und Messerkämpfer. Und ich beherrschte ein paar Dutzend Tricks – kleine, aber nützliche Zauber. Nur leider schuldete ich der Nehmergilde so viel Geld für meine Ausbildung, dass ich jetzt mit diesen fetten Mistkerlen im Waisenwald herumlungerte, in der Hoffnung, jemanden auf die gute alte Art ausrauben zu können.