Erzählung

László Darvasi, Wintermorgen

h.schoenauer - 18.04.2018

Große Erzählungen stellen immer auch scheinbar kleinliche Fragen, etwa, wie spielt man als Trommler die Nationalhymne? oder hat das Alter des Spaten einen Einfluss auf den Schlag, der dem Nachbarn über den Kopf gezogen wird?

László Darvasi hat gleich die größten Themen Gott, Heimat und Familie im Visier, um unter diesen Begriffshaubitzen das Schicksal der Menschen am Rand von Gott und der Welt zu erzählen. Diese Novellen setzen meist an einer abwegigen Stelle ein, um sich dann ganz woanders hin zu entwickeln, wo Leser und Helden gleichsam aus den Schuhen geworfen werden.

Stefan Winterstein, Früher war mehr Rechtschreibung

h.schoenauer - 06.04.2018

Menschen, die sich um Rechtschreibung kümmern, werden zwischendurch scheel angeschaut, weil sie entweder kleinkarierte Pipis oder heimliche Machtmenschen sind. Exzessives Rechtschreiben wird oft aus Gründen einer psychischen Störung bei sich selbst oder aus Disziplinierungsgründen bei anderen eingesetzt.

Stefan Winterstein stellt mit seinem Essay solchen landläufigen Meinungen Einiges an Ordnung und Aufklärung entgegen. Obwohl der Essay völlig freien Formen huldigen darf, teilt ihn der Autor klug in drei Kapitel ein und formuliert die Thesen mit der Präzision eines Wittgensteinschen Zählwerks. A erzählt alles Notwendige über die Rechtschreibung, in B werden psychologische Schrullen der Anwender bedacht, C berichtet von der schier unlösbaren Aufgabe eines Lektors, die Rechtschreibung in den Griff zu kriegen.

Georg Jäger (Hrsg.), Melachgeflüster

h.schoenauer - 04.04.2018

Kluge Täler geben dem Hauptfluss immer einen anderen Namen als dem Tal selbst, so können Feinde abgewehrt werden, indem man sie verschickt. Wenn jemand nämlich fragt, wo die Sellrain fließt, kann man ihn verschicken, im Sellraintal nämlich fließt die Melach.

Georg Jäger hat das Raunen und Ächzen, das Rumpeln und Schottern der Melach ausgegraben, wie es zwischen 1800 und der Zwischenkriegszeit in Sagen transportiert, mündlich überliefert oder in Lokalzeitungen zum Vorschein gekommen ist.

Alina Simone, Ich wollte Einhörner

h.schoenauer - 08.03.2018

In den Hitparaden und Charts gibt es nur Sieger, was aber machen die anderen, die nicht von der Geschmackstombola nach oben gespült werden?

Die Sängerin Alina Simone formuliert es in ihren „Memoiren-Essays“ ziemlich drastisch, den größten Erfolg habe sie mit dem Covern einer unbekannten russischen Untergrundsängerin gehabt. Sonst interessiere sich niemand für sie und wenn, dann höchstens wegen der Geburtsstadt Charkow, wenn diese wieder einmal bombardiert wird.

Heinz Kröpfl, Lebensläufe

h.schoenauer - 05.03.2018

Im engeren Bedeutungssinn hat der Lebenslauf mit dem Abrennen einer Strecke zu tun, und wer einmal einem Marathonisten zugesehen hat, wie er nach dem Ziel zusammenbricht, der versteht, dass es beim Lebenslauf um Leben und Tod geht.

Heinz Kröpfl lässt zwei mehr oder weniger gelungene Karrieren zuerst nebeneinander laufen und schließlich in den finalen Wettkampf eintreten. Denn das Perverse an extremen Lebensläufen ist, dass sie immer als Wettkampf ausgerichtet sind und wie beim Duell einen niedergestreckten Gegner als Beweis für die Überlegenheit des eigenen Lebenslaufs brauchen.

Bernd Schuchter, Jacques Callot und die Erfindung des Individuums

h.schoenauer - 19.02.2018

Keine literarische Form ist letztlich so offen und unbegrenzbar wie die Biographie, weil offensichtlich ein Lebenslauf größer ist als jede literarische Form.

Bernd Schuchter ist bei Recherchen über den Dreißigjährigen Krieg, der ja auch nach vierhundert Jahren dreißig Jahre lang täglich ein Jubiläum liefert, auf den Kupferstecher Jacques Callot gestoßen, der vor allem mit seiner Darstellung der „Belagerung von Breda“ in Kennerkreisen ein Begriff ist.

Lydia Mischkulnig, Die Paradiesmaschine

h.schoenauer - 09.02.2018

Die größten Überraschungen in einer scheinbar hochkomplexen Gesellschaft entstehen dadurch, dass die Menschen die diversen Gebrauchsanweisungen entweder gar nicht oder zu genau lesen.

Lydia Mischkulnig bringt in ihren 18 Erzählungen ebenso viele Überraschungen aufs Display, denn bei ihren Storys weiß man nie, ob sie eine Fake-App am Tablet oder eine hingeknallte Gesprächssituation im Alltag sind.

Simon Konttas, Bagatellen

h.schoenauer - 19.01.2018

Eine Bagatelle in der Musik ist letztlich etwas so Mickriges, dass es sich gar nicht lohnt, die Instrumente auszupacken. Im Strafrecht ist eine Bagatelle etwas, was nicht der Mühe wert ist, einem Verfahren zugeführt zu werden.

Simon Konttas reizt mit seinen literarischen Bagatellen jene Schmerzgrenze aus, bis zu der die Protagonisten zwar ordentlich leiden, aber ihr Schmerz noch nicht ausreichend tief für einen großen Roman wütet. So bringen die siebzehn Geschichten die Helden zwar an die Grenze des Wahnsinns, aber die Deeskalation geschieht schließlich, indem der Erzählsack österreichisch zugemacht und der Konflikt somit beendet wird.

Uli Brée, Schwindelfrei

h.schoenauer - 30.12.2017

Das Genre Vorabendserie prägt die Fläche einer Gesellschaft mit seinem absoluten Zeitgeistanspruch mehr als jegliche Art von Literatur. Wer in diesem Genre unterwegs ist, dem wird anschließend in der Literatur scharf auf die Finger geschaut.

Uli Brée ist mit seiner TV-Serie der „Vorstadtweiber“ in aller Munde. Und seit jeder erotische Touch außerhalb des Screens zu einer Gerichtsverhandlung führen kann, schaut man sich jeden Po-Griff zweimal an, ob er politisch korrekt ist oder nicht. Die Vorstadtweiber geben dabei ein loses Regelwerk absurder Begegnungen zwischen Männern und Frauen ab, die gerade noch nicht gerichtlich geahndet werden.

Henry David Thoreau, Leben ohne Grundsätze

h.schoenauer - 26.12.2017

Bei einem echten Amerikaner denken wir meist an einen herumballernden Viehbetreuer, der das Land auf Generationen hinaus vernichtet und sein Glück über T-Bone-Steak definiert. Dass es natürlich immer auch andere Zeitgenossen gegeben hat, die den Schutz der Natur und das Glück mit der Natur im Auge gehabt haben, wird deutlich, wenn man die wichtigsten Essays des Landes liest. Es gibt ja die schöne die Theorie, dass man ein Land nur kennenlernt, wenn man seine Essayisten liest.

Henry David Thoreau gilt als einer der wichtigsten Philosophen Amerikas. Als Anhänger des Transzendentalismus „findet er Gott unter jedem Stein“ (62) und ist ständig in der Natur unterwegs. „Die Länge der Wanderungen entsprach der Länge der Schriften“, heißt es in einem berührenden Nachruf. Thoreau ist zwischendurch auch so etwas wie ein Volksbildner, der seine Thesen in gut gebuchten Referaten zur Diskussion stellt. Dabei verwendet er in der frühen Phase Ausrisse aus dem Tagebuch, erst später verfasst er gesondert Essays und verschriftlichte Vorträge.