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„Von Napoleon stammt die berühmte Feststellung, dass wir, um einen Menschen zu verstehen, die Zeit verstehen müssen, in der er oder sie zwanzig war. Dieses Buch möchte nicht einzelne Menschen verständlich machen, sondern eine ganze Generation – Menschen, die um 1560 in England geboren wurden.“ (16)

Neil MacGregor, Kunsthistoriker und Direktor des British Museum entführt seine Leserinnen und Leser in die Welt des William Shakespeare, in die Welt seines Publikums, als zum ersten Mal seit dem antiken griechischen Theater wieder Menschen aller Schichten Anteil nahmen an den Tragödien und Komödien der Dichter ihrer Stadt und damit selbst als Protagonisten der Theaterstücke interessant wurden. Anhand zahlreicher Gegenstände aus der Welt Shakespeares lässt MacGregor den Alltag der Menschen zur Zeit Shakespeare für seine Leserinnen und Leser wieder zum Leben erwachen.

Oft fußt die Freiheit auf einer gelungenen Zeremonie der Befreiung. Wer frei ist, kann überall heimisch werden.

In Margarita Kinstners Roman „Die Schmetterlingsfängerin“ befreit sich zu Beginn ein Geschwisterpaar von sämtlichen Altlasten der Emotion, indem es den Kater Isidor würdig bestattet. Wer von einem Tier so gelungen Abschied nehmen kann, ist letztlich für alle Herausforderungen geeicht.

Von den Geschlagenen, wie die Beatniks jenseits aller Epochen genannt werden, haben wir gelernt, dass ungeheurer Zorn nur mit dem Langgedicht halbwegs ausgedrückt werden kann. Ein Langgedicht hat keinen Anfang und kein Ende und umkreist wie eine Möbiusschleife sich selbst.

Akel Karner macht mit einem Langgedicht diesem weißen Zorn Luft, der vermutlich jeden Künstler heimsucht, wenn die Schaffenskrise nicht mehr weg geht und alles in Frage stellt. Weißer Zorn ist dieser Zustand der verdichteten Zeichenlosigkeit, wie er in der Informationstechnik als weißes Rauschen auftritt.

„Lernen ist etwas Spontanes, Individualistisches und wird oft nur durch Anstrengung erlangt. Es ist ein zeitaufwändiger, langsamer, schritt- und stoßweißer Prozess, der einen eigenen Fluss entwickeln kann, der aber auch Leidenschaft, Geduld und Aufmerksamkeit für das Detail erfordert (sowohl von der Lehrperson, als auch von der bzw. von dem Lernenden).“ (2)

Wohl kaum eine pädagogische Arbeit hat in den letzten Jahren im Bildungsbereich für so großes Aufsehen gesorgt wie John Hatties Mammutstudie „Visible Learning“ zum Thema guter Unterricht. In dieser werden die Ergebnisse von 736 Meta-Analysen aus mehr als 50.000 Studien mit vielen Millionen Lernenden verarbeitet und aufgezeigt, welchen Einfluss bestimmte Methoden und ihre Kombinationen auf den schulischen Unterricht haben.

Je ordentlicher ein Leben verläuft, umso leichter entgleist es. Was bei einer chaotischen Lebensführung als Geniestreich durchgeht, führt bei einem Ordnungsfreak zu einer Lebenskrise.

Christine Hochgerner schickt in ihrem Roman von der Taschen stöbernden Anna die Heldin in jenen Windkanal, in dem vorerst theoretisch das Pensionsgebläse angeworfen wird. Anna geht auf den sechzigsten Geburtstag zu, sie arbeitet als Assistentin in der Zahnarztpraxis ihres Mannes und die Pensionierung wird wohl ihr Leben umkrempeln, vermutet sie.

Erinnern entsteht meist durch Straffen und Eindicken des Gesehenen, letztlich sind es Felder und Ränder, die von einem Geschehnis übrigbleiben.

Nicht umsonst heißen die zeitlosen Bücher Jürgen Beckers einfach „Felder“ (1964) und „Ränder“ (1968). Ein Leben lang müht sich der Autor damit ab, Verfahrensweisen zu finden, wie man die Gedächtnisbilder rekonstruieren könnte, worin die Zeiten, Orte und Vorgänge aufgegangen sind. (17) Eine überzeugende Form dafür ist der sogenannte Journalroman.

„Henry Morgenthau, der amerikanische Botschafter in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, telegrafierte am Abend des 31. Juli 1915 an das State Department in Washington: «Dr. Lepsius (…) hat aus verlässlicher Quelle erfahren, dass Armenier, zumeist Frauen und Kinder, deportiert aus dem Erzurum-Gebiet nahe Kemah zwischen Erzincan und Harput massakriert worden sind.»“ (7)

Der Völkermord an den Armeniern, dem der österreichische Schriftsteller mit seinem monumentalen Werk „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ jährt sich bereits zum 100. mal und immer noch sorgt das Verbrechen für diplomatische Spannungen zwischen der Türkei und anderen Ländern. Der Kulturhistoriker Rolf Hosfeld zeichnet in seinem Buch „Tod in der Wüste“ akribisch das Umfeld, die Vorgeschichte und die Umsetzung des Völkermordes zwischen 1915 bis 1916 nach, bei dem mehr als 1,5 Millionen Menschen auf grausame Weise um ihr Leben gekommen sind.

Ein Nomadensprichwort sagt, du musst aus der Stadt fortziehen, um sie zu sehen.
Thomas Weyr haben die Nazis zur Emigration gezwungen, sein Blick auf die Heimatstadt Wien ist ein ungewolltes Ergebnis eines zwangsweisen Perspektivenwechsels, die Stadt hat seither immer einen fernen Klang für ihn.

Die ferne Stadt trägt zwar die schlichte Bezeichnung Erinnerungen, sie ist aber durchaus als kunstvoller Roman aufzufassen. Das hat damit zu tun, dass das erzählende Ich als Journalist ständig ein scharfes Auge auf die Dinge wirft, die Vorfälle werden nicht nur beschrieben, sondern auch analysiert. Der Erzähler bedient sich als Ergänzung und Korrektiv der Schriften seines Vaters, der ebenfalls als Journalist die Zeitgeschichte hautnah kommentiert. So wird die persönliche Geschichte in selten öffentlicher Form mit dem allgemeinen Zeitenlauf verstrickt.

Seit die österreichischen Krimis nahezu genormt und uniform geschrieben und publiziert werden, empfindet man es geradezu als Sensation, wenn eine Krimiserie an ihr Ende kommt und sich noch dazu weiterentwickelt.

Dietmar Wachter schickt am Ende des letzten Falles „Das Mädchen Dori“ seinen bewährten Inspektor Matteo in den Ruhestand. Normalerweise darf das Ende eines Krimis nicht verraten werden, wenn es sich aber um eine flächendeckende Frohbotschaft handelt, muss sie zitiert werden. „Dann zwölf Schläge. Mitternacht. / Ich bin in Pension. / Endlich!“ (291)

Ereignisse, die „jenseits“ spielen, erwecken wie von selbst Neugierde, Mitgefühl und Sehnsucht. Wer ist nicht hingerissen von Filmen wie Jenseits von Afrika oder Büchern wie Jenseits von Eden oder Jenseits von Gut und Böse.

Thomas Schafferer gelingt mit Jenseits von Luxemburg ein erzählstrategischer Coup. Dadurch, dass fast nichts auf dem Kontinent in Luxemburg spielt, spielt automatisch fast alles „jenseits von Luxemburg“. Diese Fügung ist nur zum Teil geographisch gemeint, in der Hauptsache geht es um ein Gefühl, das an einem bestimmten Ort ausgelöst wird und sich nicht mehr einfangen lässt.