Alexander Kluge, Kongs große Stunde

Auf der Überfahrt nach New York, wo der Groß-Affe mit großem Gewinn zur Schau gestellt werden soll, wird dem Kapitän des Schiffes Angst und Bang, weil Kong jederzeit alles zerdeppern könnte.

Alexander Kluge erzählt seit Jahrzehnten Geschichten, denen man nicht entkommt. „Kongs große Stunde“ erklärt in einem kurzen Vorspann, welche Mächte zutage treten, wenn man das eigene genetische Material zur Schau stellt. Und dann folgt nichts weniger als die Geschichte der Menschheit, entflochten und aufgedröselt in die Geschichten von Kong, die unmittelbaren Geschichte der Kluges in Halberstadt und in Geschichte der Gegenwart zerfleddert in tausende Kanäle.

Die Erzählweise Alexander Kluges ist kalt gehalten und orientiert sich am sogenannten Nachrichtenwesen. Eine markante Schlagzeile trifft den Leser unvorbereitet und reißt das Thema an. Fotomaterial suggeriert einen „Vorort“-Standpunkt, indem es scheinbar mitten aus dem Geschehen stammt. In Zitaten und mit Protagonisten-Sprache wird der Sachverhalt dargestellt, der flugs in einen Essay übergeht. In Kästchen im Nachspann jedes Kapitels sind Lese- und Filmlinks angeführt, mit denen man stracks in entlegene Winkel des Netzes gelangen kann.

Die Fragestellungen wirken auf den ersten Blick zufällig, schlagen aber unbarmherzig Schneisen in die Gedankenbrache, um diese mit kalkuliertem Sinn zu bepflanzen. „Was heißt Zusammenhang?“ heißt es lapidar. (555) Zusammenhang heißt unter anderem, eine Verbindung zwischen dem Individuum und der Weltlage herzustellen, den nächsten Schritt in der Chronik des Zusammenhangs zu setzen.

Der Ich-Erzähler schreibt 1956 an seiner Dissertation und ist mit dem Korrigieren und Ausfeilen der Arbeit beschäftigt. Der Erzähler kriegt zwar mit, dass es einen Ungarnaufstand gibt und Alexandria beschossen wird, er hat aber keinen kausalen Zusammenhang mit seiner Arbeit, er weiß nur, dass er sich maßlos aufgeregt hat. Diese Zusammenhänge sind selten kausal aber oft logisch. So erscheint an anderer Stelle der längst verstorbene Vater des Essay-Ichs, weil es an dieser Stelle passt und logisch ist. (263)

Wenn man sich in dieses Narrativ eingelesen hat, ist man automatisch mit von der Text-Partie und sei es nur, dass man auf die Fragen und Zuspitzungen persönlich regiert.

Auf jede Nachricht wartet das Vergessen / Kong-Oper bestehend aus einer einzigen Aufnahme / Habe Berge versetzt, habe Wurzeln im Mund / Wenn ich für einen Menschentyp anfällig bin, dann sind es die Sammler / Vergebliche Suche zweier Tauben nach einem ruhigen Moment.

Ein paar hundert Seiten voll mit solchen Anritzungen der Denke ergeben ein dickes Buch, das wie selten zu persönlichen Kladden des Zusammenhangs ausufert. Das ist das Geheimnis dieses Buchs vom Zusammenhang: Anhand einer dicken Geschichte mit tausenden Andockstellen für Protagonisten entwickelt sich die persönliche Geschichte des Lesers mit tausenden Andockstellen für seine eigene Geschichte. – Ein Wunderwerk der Erzählkunst!

Alexander Kluge, Kongs große Stunde. Chronik des Zusammenhangs
Berlin: Suhrkamp 2015, 680 Seiten, 39,10 €, ISBN 978-3-518-42494-0

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Alexander Kluge, Kongs große Stunde
Wikipedia: Alexander Kluge

 

Helmuth Schönauer, 21-12-2015

Bibliographie

AutorIn

Alexander Kluge

Buchtitel

Kongs große Stunde. Chronik des Zusammenhangs

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

680

Preis in EUR

39,10

ISBN

978-3-518-42494-0

Kurzbiographie AutorIn

Alexander Kluge, geb. 1932, in Halberstadt, lebt in München.