Andrea Roeding, Über alles, was hakt

Es gibt eine Lebensphilosophie, nach welcher die Dinge ein Eigenleben führen und bocken, wenn etwas in eine falsche Richtung geht. Bei Charlie Chaplin springen die Sachen oft den Helden an, bei Franz Kafka machen sich Akten selbständig, bei Woody Allen ist die Couch das Problem, nicht der darauf liegende Patient.

Andrea Roeding stellt ihre Essays, Glossen und Reportagen unter die Schirmherrschaft jenes Phänomens, wonach etwas erst seinen Sinn entfaltet, wenn es ordentlich hakt. Unter dem Aspekt der Widerborstigkeit entstehen sinnvolle Erklärungen für scheinbar nicht zu definierende Tatsachen.

Wann kommt man an in einem Land? Wenn Dinge plötzlich funktionieren. (16)

Diese Definition von heimisch und vertraut funktioniert auch in die umgekehrte Richtung. Wann ist etwas aus dem Ruder gelaufen? Wenn sich in einer Straße Geschäfte häufen, die lebenslang auf ihr Ende warten.

Natürlich gibt es Bereiche, die das Sperrige und das Bockige geradezu anziehen, in diese „Sperrzonen“ hat die Autorin ihre Texte eingelagert. Da ist einmal der Alltag selbst, der selten glatt verläuft, man braucht nur lange genug hinzusehen, um nur noch die Querschläger und Irritationen eines scheinbar geschmierten Ablaufs zu entdecken.

Für Irritationen immer gut ist das sogenannte Katholische, die katholischen Geschichten sind geradezu randvoll von Widersprüchen, Doppelmoral und Rhizom-logischen Disputen.

Wenn Jesus Burka tragen würde, dürfte er dann noch am Kreuz in Klassen und Amtszimmern hängen? (102)

Geschlecht & Co sorgen stets für Aufregung. Wie outet man sich standesgemäß, wie defekt war Otto Weininger wirklich, warum schrammt die Beschneidung so knapp an der Kastration vorbei?

Magie des Verlangens nennt sich die Erforschung unserer wahren Wünsche. Dabei muss man bloß die Werte richtig umdrehen, um zu den wahren Werten zu gelangen. So macht sich der Akademikermangel in der Geisteswissenschaft dadurch bemerkbar, dass nicht kluge Menschen fehlen sondern kluge Arbeitsstellen. (211)

In der Abteilung „Leben im Loop“ sind ein paar Schicksale aufgezählt, die alles andere als geradlinig verlaufen, eine Flucht aus Rumänien beispielsweise oder das anstrengende Leben eines Joe-Cocker-Imitators.

Als Leser wird man durch diese Texte, die in der Hauptsache in den Berliner Zeitungen Freitag und taz erschienen sind, hellhörig gegenüber allem, was gerade läuft. Man entwickelt eine Sicht auf alles, was hakt, und ist erstaunt, wie kreativ die Dinge aneinander gekettet sind. Vielleicht lässt sich daraus auch so etwas wie ein Lebensprogramm häkeln: Wenn du ein genug krummer Haken bist, beißt das Leben an dir an!

Andrea Roeding, Über alles, was hakt. Obsessionen des Alltags. Essays, Glossen, Reportagen.
Wien: Klever 2013. 256 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-902665-59-1.

 

Weiterführender Link:
Klever Verlag: Andrea Roeding, Über alles, was hakt

 

Helmuth Schönauer 09-07-2013

Bibliographie

AutorIn

Andrea Roeding

Buchtitel

Über alles, was hakt. Obsessionen des Alltags. Essays, Glossen, Reportagen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Klever Verlag

Seitenzahl

256

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-902665-59-1

Kurzbiographie AutorIn

Andrea Roeding, geb. 1962 in Düsseldorf, lebt als freie Publizistin in Wien.