Bernd Cailloux, german writing

Geheimcodes haben den Nachteil, dass sie Allgemeingut werden, sobald sie einen allgemein zugängigen Namen haben.

German writing ist natürlich ein Geheim-Code und was für einer. In der Titel gebenden Erzählung wird dem Ich-Erzähler von einer Illustrierten ein unwiderstehliches Angebot gemacht, er soll um ein Schweinegeld einen Essay über das Essen schreiben.

Mit allen Tricks versucht nun der Autor, dem Essay eine zweite Bedeutung, nämlich Ess-ay, einzuhauchen. Nach Besuchen in der Bibliothek die äußerst erfreulich ausfallen (57) gelingt ihm schließlich der entscheidende Zusammenhang. In einer entlegenen Gegend werden rare Muscheln für die Snob-Küche aus der Brandung gekratzt. Die Muschelschalen sind mit Parasiten befallen und ergeben eine Maserung, die an germanische Runen erinnert, die Zeichen werden als „german writing“ gedeutet.

Auch in den anderen der insgesamt neun Erzählungen geht es um den schier aberwitzigen Konnektionismus zwischen Schreibanlass, Schreibgehabe und geschriebenem Inhalt. Der Text ist der Ausfluss von literarischem Getue, könnte man diese These zusammenfassen.

Für einen Literaturwettbewerb ist am „Abend für Spätschalter“ um Mitternacht das Ende der Einreich-Frist angesetzt, viele Dichter haben spät im Hirn geschaltet und den Termin fast verpasst. Einigen in der Warteschlange gelingt es noch, rechtzeitig einzureichen, der übrig gebliebene Erzähler muss am nächsten Tag einen Beamten bestechen, damit er den Poststempel im Namen der Literatur zurückdreht.

Die Magie der Geburtsorte spielt in der Literatur eine wichtige Rolle. In „Geboren dannunddann“ fällt der Erzähler ziemlich lange aus der aufkeimenden Literaturgeschichte, weil er bloß ein triviales Erfurt aufweisen kann.
Aus Hollywood kommt ein Anruf für Drehbuch und Casting, alles scheint hollywoodmäßig abzulaufen, aber dann versickert der gedrehte Film im Nichts. Das ist Hollywood.

In einer anderen Erzählung darf ein Autor ins entlegene brasilianische Passo Fundo, wo bei einem Literaturfestival alles aufgeführt werden darf außer Literatur. Der Autor spielt eine erfolgreiche Rolle, zumal seinen Auftritt wie bei entlegenen Festivals üblich niemand überprüfen kann.

Der Beruf Autor löst auch in diversen Kneipen beim Volk der Lebenskünstler großes Staunen aus, wenn es auf dem Weg zum Pissoir zur herzergreifenden Lebensbeichte kommt. „Was machst du? - Schreiben!“ (83)

Bernd Cailloux heroisiert augenzwinkernd die Kunst der Schriftstellerei. Die Helden in den Erzählungen sind durchwegs überfordert von ihrem Beruf, sie schmeißen sich selbst täglich weg und hoffen dabei, von der eigenen Wegwerf-Story irgendwie positiv aufgefangen zu werden. - Schöne Illusionen von der Hinterseite der Literatur!

Bernd Cailloux, german writing. Erzählungen.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2006. (= es 2481).141 Seiten. EUR 8,30,  ISBN 978-3-518-12481-9.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Bernd Cailloux, german writing
Wikipedia: Bernd Cailloux

 

Helmuth Schönauer, 03-02-2013

Bibliographie

AutorIn

Bernd Cailloux

Buchtitel

german writing

Erscheinungsort

Frankfurt am Main

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

141

Preis in EUR

8,30

ISBN

978-3-518-12481-9

Kurzbiographie AutorIn

Bernd Cailloux, geb. 1945 in Erfurt, lebt in Berlin.