Charlotte Erlih, Bacha Posh

Von Afghanistan weiß unsereins letztlich nur, dass das Land in Aufruhr und gleichzeitig zerbrochen ist. Dass es sich um ein Land mit hoch entwickelter Kultur und eigenständigen Gesellschaftsformen handelt, ist schon längst in den Kriegsmeldungen untergegangen.

Charlotte Erlih greift in ihrem Roman mit „Bacha Posh“ eine kulturelle Praxis auf, wonach in Familien ohne Söhne das älteste Mädchen Ansätze eines Sohnes-Lebens führen darf, damit sie in Fragmenten eine Schulbildung absolvieren kann.

Bacha Posh heißt wörtlich „gekleidet wie ein Junge“. Im konkreten Roman schlüpft Farrukhzad in die Rolle eines Jungen, sie ist federführend als Steuermann eines Ruderbootes daran beteiligt, dass sich Afghanistan für die olympischen Spiele im Ruderwettbewerb qualifiziert.

Unter den Jungen des Bootes muss sie sich stets tarnen, beim Duschen rechtzeitig verschwinden und auch sonst in den Sätzen vorsichtig sein. In den Gedanken beschäftigt sie das Wesen von Pseudonymen, warum muss man in manchen Gesellschaften seine Identität verheimlichen, wenn man sein eigenes Ich sein will.

Immer wieder liest die Heldin in einem Roman „Erste Liebe, letzte Liebe“, um nicht die letzte Standfestigkeit zu verlieren. Aber zwischen der Lektüre und der Realität draußen in der Stadt Kabul tun sich doch gewaltige Unterschiede auf.

Eine Trainerin aus Frankreich organisiert ein schnelles Boot und hilft auch Farrukhzad, ihre Sportler-Identität zu bewahren. Dann freilich setzt die Pubertät ein und die Bacha Posh wird eine Frau. Jetzt muss sie den Sport aufgeben und unter der Burka verschwinden.

In einem patriotischen Kraftakt, immerhin geht es um die Ehre Afghanistans bei Olympischen  Spielen, gelingt es, den Vater der Steuerfrau zu überreden, mit ihr in den Iran zu reisen, um dort an den Ausscheidungskämpfen teilzunehmen. Die Qualifikation gelingt, aber die Heldin muss sich wohl outen und untertauchen. Die Regeln freilich besagen, dass in einem Boot aus Männern der Steuermann eine Frau sein darf.

Charlotte Erlih erzählt mit Hilfe dieser spannenden Sport-Geschichte, wie rigide Gesellschaftsformen an die Substanz der Identität gehen können. Gerade das Switchen zwischen einer männlichen Stammbaumrolle und einer verhüllten weiblichen Existenz treibt die Heldin schier in den Wahnsinn. Dabei gibt es kein Entrinnen, selbst wenn es gelingt, Verbündete zu finden. Eine Hoffnung besteht nur in internationaler Vernetzung, um aus den Zwängen archaischer Rituale auszubrechen. - Ein Aufklärungsroman der subtilen Art.

Charlotte Erlih, Bacha Posh. Roman. A. d. Französ. von Doris G. Eibl [Orig.: Bacha Posh, 2013].
Innsbruck: Edition Laurin 2015, 191 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-902866-25-7

 

Weiterführender Link:
Edition Laurin: Charlotte Erlih, Bacha Posh

 

Helmuth Schönauer, 09-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Charlotte Erlih

Buchtitel

Bacha Posh

Originaltitel

Bacha Posh

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Edition Laurin

Übersetzung

Doris G. Eibl

Seitenzahl

191

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-902866-25-7

Kurzbiographie AutorIn

Charlotte Erlih, geb. 1978 in Paris, lebt in Paris.<br />Doris G. Eibl, geb. 1966, arbeitet am Institut für Romanistik an der Universität Innsbruck.