Daniela Emminger, Schwund

Auf gut Österreichisch bedeutet Schwund meist einen unerklärlichen Verlust, der beim Wirtschaften entsteht. Diebstähle, Transportunglücke und unerklärliche Lagerverluste bewirken meist einen Schwund, den man in der Bilanz achselzuckend zur Kenntnis nimmt.

Daniela Emminger setzt den Schwund im Leben ab, im Verlaufe der Zeit gehen auf zähe Weise Lebenskraft, Lebensfreunde und Lebenssinn verloren, der Mensch schwindet, bis er aus dieser Welt verschwunden ist.

Im Roman „Schwund“ zieht Anni König die Reißleine und entführt ihre Mutter Karla aus der Klinik, in die man sie wohl schon zum Sterben abgeschoben hat. Nichts ist so kompliziert, wie einen Dialysepatienten aus dem Krankenhaus verschwinden zu lassen. Aber Tochter und Mutter schaffen das schier Unmögliche, sie verschwinden in einer Kärntner Almhütte wie in einem Kinderbuch.

Wenn es beim Eintritt des Menschen ins Leben sinnreich ist, dass er mit Geschichten, Märchen und bunten Bildern in Realität und Fiktion versorgt wird, dann müsste diese Methode auch für das Verschwinden aus der Welt geeignet sein. Die Protagonistinnen gönnen sich einen Trip durch gute Geschichten, suchen geheimnisvolle Helden auf und vertrauen wundersamen Heilmitteln. Auf diese Weise kommen sie in Augenhöhe mit Loriot, Einstein, Willi Dungl und Hildegard von Bingen in Kontakt. Neben der Schulmedizin sind sie die wahren Helfer beim Ausgeistern, und ihre Geschichten sind sicher humorvoller als die chemischen Formeln der Medikamente.

Die Geschichte der letzten Abenteuer verläuft beinahe humorvoll in Schlagzeilen, wie sie auch in guten Bilderbüchern vorkommen. Hin fahren und weg sein / Das Ei ist hart / Die heiligen Rosinen / Schiff ahoi / Showdown in Amsterdam / Trafen sich zwei / Abspann im Jenseits lauten ein paar dieser Kapitel voller Erinnerung und Zuversicht. Dazwischen kümmert sich Gustav als alte Liebschaft um Klara und schreibt Herz-umfassende Briefe.

Während die Mutter ihre Alben im Kopf ordnet, macht sich die Tochter durchaus Gedanken über das Pflegesyndrom im Familienkreis, über Belastung und Entlastung von verwandtschaftlichen Verhältnissen. „Pflegen ist ein starkes und ein schwaches Verb“ (61), lautet die  Zauberformel, die umschreibt, was erwartet wird und was einen überfordert. Und diese letzte Schwund-Zeit bietet auch noch Gelegenheit, das eine oder andere zu korrigieren.

Es ist ein Fehler, mit Kindern nur über die Zukunft und nie über die Vergangenheit zu sprechen. (55)

Schwund ist ein fröhliches Abschiedsbuch mit viel Verspieltheit, Gelassenheit und Poesie. Vielleicht ist die Fiktion dieser Rollator, mit dem es sich pfiffig ins Jenseits rollen lässt, ziemlich barrierefrei.

Daniela Emminger, Schwund. Roman
Wien: Klever Verlag 2014, 184 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-902665-78-2

 

Weiterführende Links:
Klever Verlag: Daniela Emminger, Schwund
Literatur Netz Oberösterreich: Daniela Emminger

 

Helmuth Schönauer, 10-01-2016

Bibliographie

AutorIn

Daniela Emminger

Buchtitel

Schwund

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Klever Verlag

Seitenzahl

184

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-902665-78-2

Kurzbiographie AutorIn

Daniela Emminger, geb. 1975 in Vöcklabruck, lebt in Wien.