Dietmar Dath, Kleine Polizei im Schnee

„Wie ist das mit Klima, Demographie, Islam und alles? - Ja.“ (55)
Etwa nach dieser skurrilen Fragestellung des so genannten Qualitätsjournalismus funktionieren viele der über vierzig Erzählungen, die Dietmar Daths unter dem ziemlich weltverlorenen Titel „Kleine Polizei im Schnee“ versammelt hat.

In der Hauptsache setzen sich diese Erzählungen aus essayistischen Kurzdialogen, spontanen Übermüdungen der Helden, glossistischen Aufarbeitungen von Headlines sowie utopischen Identitätsverlusten zusammen.

Im Jahr 2030 gibt beispielsweise ein Held zwei seiner mittlerweile auf ein Dutzend angewachsenen Identitäten an einer Sammelstelle ab und träumt voller Melancholie von einer Zeit, als man noch mit einer einzigen Identität echte Geschichten erzählen konnte.

Identitätsprobleme hat auch eine blinde Millionärin, die sich geschlechtsneutral Es nennt und einen Kroaten und eine Äthiopierin zum Vorlesen von Science-Fiction anstellt. Beide müssen der Welt entrückt sein, um die Texte authentisch zu lesen. Voller Ekel wendet sich die Millionärin von Hörbüchern ab, als sie stirbt, fragt jemand, ob Es schon tot sei.

Mit dem Geschlecht ringt ein Erzähler, der sich gerade zur Frau umoperieren lässt. Allerhand Männer wollen schon mit ihm als Frau schlafen, aber es ist noch nicht klar, was die endgültige Realität ist. „Ich bin nicht wie meine Sendung“, sagt ein geiler Fernsehmacher, als er sich an das Geschlechts-schizophrene Erzählwesen heranmacht.

Geradezu romantisch nimmt sich unter dem Titel „Mondphasen“ eine Beziehungskiste aus, worin die Beteiligten ständig Angst haben, dass wieder eine Beziehung kaputt gehen könnte. Und tatsächlich ist das Ende schier über-romantisch: „Der Mond wurde schließlich pechschwarz und fiel auf die Erde. Er war fast komplett aus Stein.“ (17)

Manchmal löst eine Binsenweisheit eine Geschichte aus, mit der Schreibung des Namens fängt nämlich das Unglück an, weshalb Kafka nicht Agfa heißt. (99)
Eine Prinzessin von Monaco hat eine neue Frisur und macht sich auch noch einen Kopf: „Wozu ist unsereins eigentlich gut?“ (181)

Alles kann bei Dietmar Dath zum erzählten Kleinod mutieren, Nachrufe, Vorabendserien, Liebesversuche, Karrieren, Utopien. Die Szene wird mit ein paar atemlosen Satzbögen aufgerissen, dann kommen die Figuren ungeschminkt zur Sache. Sie tragen jeweils chancenlos ihr Schicksal vor oder werfen es dem Gegenüber an den Kopf. Als Abspann geht entweder die Welt unter oder alles bleibt wie es ist, was gleich schlimm ist. - Messerscharfe Schnitte durch unser gängiges Unterhaltungs- und Lebensprogramm!

Dietmar Dath, Kleine Polizei im Schnee. Erzählungen.
Berlin: Verbrecher Verlag 2012. 236 Seiten. EUR 24,-. ISBN 978-3-943167-08-5

 

Weiterführende Links:
Verbrecher-Verlag: Dietmar Dath, Kleine Polizei im Schnee
Wikipedia: Dietmar Dath

 

Helmuth Schönauer. 27-11-2012

Bibliographie

AutorIn

Dietmar Dath

Buchtitel

Kleine Polizei im Schnee

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Verbrecher Verlag

Seitenzahl

336

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-943167-08-5

Kurzbiographie AutorIn

Dietmar Dath, geb. 1970 in Reinfelden, lebt in Freiburg und Berlin.