Gottlieb Pomella, An Land gespült / Glücklich gefallen

h.schoenauer - 22.01.2025

gottlieb pomella, poesieMeist sind es die Antriebskräfte Aufbruch und Ausklang, die Menschen Gedichte formen lassen, um für sich etwas Klarheit zu schaffen über die seltsamen Vorgänge rund ums Leben.

Tatsächlich beginnen viele unbeschwert in der Jugend mit dem Gedichte Schreiben, während es wenige sind, die sich im Alter noch einen Traum erfüllen, nämlich das Erlebte auf der Wäscheleine der Poesie aufzuspannen.

Gottlieb Pomella hat sich nach einem von Bildung gespeisten Berufsleben mit knapp siebzig aufgemacht, die Welt hinter dem Filter der Poesie in handfesten Gedichten und prosaischen Einsprengseln zu beschreiben. Seine beiden Gedichtbände „An Land gespült“ und „Glücklich gefallen“ lassen sich einzeln lesen, indem etwa das lyrische Ich zuerst in Aufbruchstimmung das Leben in die Hand nimmt und später im zweiten Teil desillusioniert mit dem Verklingen der Wünsche und Ideen zu kämpfen hat, die beiden Bücher lassen sich auch als zeitgenössische Klammer der Pandemie-Epoche begreifen, sind die Bücher doch 2020 und 2023 erschienen.

An Land gespült

In der Einleitung zu den knapp hundert Gedichten nennt Ferruccio Delle Cave zwei Namen, auf die vermutlich eine ganze Südtiroler Literatur-Generation setzt: Die Lakonik von Norbert C. Kaser und die entrückte Transzendenz des Friedrich Hölderlin haben jene beeinflusst, die ein ähnliches Bildungssystem in Südtirol durchgemacht haben. Hölderlin wird oft als Leitstern bezeichnet, der in den Internaten des Nachkriegs-Südtirol ein kleines Luftloch in der katholischen Totallehre aufgemacht hat.

Im Prolog bezieht sich der Autor auf das Diktum Hans Magnus Enzensbergers, wonach man besser Fahrpläne lesen solle als Oden, sie seien verlässlicher. Aber diese Genauigkeit bringt in der Gegenwart nicht viel, weil selbst die Fahrpläne mittlerweile im Netz fragwürdig genau sind. So kümmern sich seine Gedichte um diese verletzliche Haut zwischen Innen und Außen, an der seine Texte angesiedelt sind unter den vagen lyrischen Kommandos: Dem Leben gestellt / Wo die Sonne hinabsinkt / Fluchtwege / Vom Abschied / Von der Liebe / Von Irrlichtern und Schatten / Was bleibt.

Eine besondere Botschaft steckt in den Verbindungen, die zwischen den einzelnen Gedichten gelegt sind. Hintereinander gelesen ergeben die Texte vom Kirschbaum, vom Vollmond und vom Freitod einen sehnsüchtigen Zug ins Freie, wobei diese Freiheit in der Verheißung der Früchte, dem Gegenlicht der Nacht und dem freiwilligen Beenden des Lebens liegen kann.

Wenn die Sonne hinabsinkt, tun sich karge Winter-Gedichte auf, die Vegetation ist ausgetrocknet, die Fluchtwege der Gefühle sind verstellt, die Liebe zieht sich zurück und hinterlässt Irrlichter falscher Versprechungen. Und am Schluss stellt sich die große Frage: Was bleibt. (130) „Eine Flut von Worten über deine Lippen / nichts von dir // das Leben zurückgespult im Windgesang des Schilfs // was bleibt ist nicht dein / doch erzählt es unablässig / von dir“.

Im Epilog tritt poetisch kompakt in drei Vierzeilern der Herbstwind auf und besingt im Stile Rilkes jene Jahreszeit des Blätterfalls, welche sich sonst in Bilderbüchern einer fernen Kindheit versteckt hält.

Hinter dieser Evokation beruhigender Gedanken steckt ein Leben voller Witterung und Stürme, Metamorphosen sind das tägliche Brot des Lyrikers, und die Gedichte selbst sind Häutungen der Seele. „Im Winter ohne Weg / ohne Worte zog ich meine Spur // die Welt im Rücken / häutete ich mich / dem Frühling zu.“ (127)

Die Fotos von Gianni Bodini zeigen seltsam kalligraphisch aufgelöste Motive, Bäume stehen im leeren Winter, Zäune führen ins Nichts, eine Parkbank hat sich im Schnee verkrochen, Vögel jagen einander vor felsigem Abgrund. Die Bilder ziehen den Blick auf sich und werfen dabei die Motive zurück mitten ins Auge des Betrachters.

 

Glücklich gefallen

Der Titel suggeriert jene glücklichen Augenblicke, in denen das Kind hingefallen ist. Aber es ist dabei nichts passiert, vielleicht wird es sogar aufgehoben und alles ist wieder gut.

Im Vorwort von Merle Rüdisser auf das Zitat Brechts an die Nachgeborenen gestoßen, schiebt sich freilich die zweite Bedeutung von „gefallen“ in den Vordergrund, jemand ist im Krieg glücklich gefallen. Brecht: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“

Die Gedichte lassen sich „an brüchigem Faden“ als Erzählungen eines fernen Krieges neu aufbinden, Schatten einer längst vergangen geglaubten Zeit drängen sich ins Geschehen, die letzte Wärme wird angesprochen, die vielleicht schon Jahrzehnte zurückliegt. Flüchtlinge sind an Land gespült, das Meer wird zum Sarg, während sich am Ufer Menschen einmauern in sich selbst.

Plötzlich sind die Nachkriegsbilder wieder aktuell, sie sind schrecklich upgedated von einem neuen Krieg, der die Metapher vom „glücklich gefallen“ ins Groteske erhebt.

Die Gedichte des zweiten Bandes sind kurz und kompakt wie Inschriften, oft sind sie versteinerte Rituale, eingesperrt als Sekundenzeiger auf dem Ziffernblatt: „Tag für Tag / an der Bar / an der Ecke / im lichten Schatten der kränkelnden Robinie // Tag für Tag / Zeitung und Espresso / die Todesanzeigen zuerst // willst du vom Leben erfahren / höre auf die Toten.“ (33)

In diesem „Spätwerk“ Gotthold Pomellas sind Schnörkel und Enthusiasmen verpönt, das lyrische Ich hat sich zwischen die Zeilen zurückgezogen und nimmt seine Schutzhaltung ein für die Zeit, die noch kommen wird.

Selbst die sogenannten Stadtstiche, worin der Autor in klugem Abstand zu N. C. Kaser seine Sicht von Lissabon, Turin oder Mailand positioniert, überwiegt das Versteinerte, das sich vom Krawall des Tagestourismus angewidert wegduckt. Es sind lyrische Selfies, mit einem verbitterten Misstrauen gedreht.

Das „nachhaltigste“ Gedicht tritt als Epilog auf. Darin zweifelt Gottlieb Pomella am Sinn des gängigen Dichtens und wendet sich ironisch einer sarkastischen Lebenserfahrung zu, die er mit manchen alt gewordenen Dichtern teilt.

„Epilog // Wörter / türmt der Dichter / auf ein weißes Blatt / bringt sie in Ordnung / schreibt sie glatt / ordnend lügt er so / die Welt sich platt / am Ende bleibt / ein leeres Blatt“. (121)

Gottlieb Pomella, An Land gespült. Poesie, mit einem einführenden Vorwort von Ferruccio Delle Cave, Fotos von Gianni Bodini
Meran: alphabeta Verlag 2020, 141 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-88-7223-352-8

Gottlieb Pomella, Glücklich gefallen. Poesie, mit einem Vorwort von Merle Rüdisser, Fotos von Cäcilia Terzer
Meran: alphabeta Verlag 2023, 121 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-88-7223-418-1

 

Weiterführende Links:
alphabeta Verlag: Gottlieb Pomella, An Land gespült
alphabeta Verlag: Gottlieb Pomella, Gottlieb Pomella, Glücklich gefallen

 

Helmuth Schönauer 03-07-2024

Bibliographie
AutorIn:
Gottlieb Pomella
Buchtitel:
An Land gespült / Glücklich gefallen
Erscheinungsort:
Meran
Erscheinungsjahr:
2020 / 2023
Verlag:
Alphabeta Verlag
Seitenzahl:
141 / 121
Preis in EUR:
12,00
ISBN:
978-88-7223-352-8 / 978-88-7223-418-1
Kurzbiographie AutorIn:
Gottlieb Pomalla, geb. 1948 in Kurtatsch, lebt in Kurtatsch.