Gustav Ernst, Grundlsee

Jede Idylle birgt immer auch das Grauen in sich. – Dieser dramaturgischen Grunderkenntnis huldigt Gustav Ernst mit seiner Familien-Groteske „Grundlsee“.

Der Roman nützt die Eloquenz von Familientratsch, um letztlich eine Tragödie nach der anderen zu erzählen.

Dabei geht es am Anfang geradezu überidyllisch zu, eine Familie rottet sich in Ferienstimmung am Morgen im gemeinsamen Bett rund um den Ich-Erzähler, „meine Frau und Ich“ reden durchaus deftig, wenn die Kinder gerade abgelenkt sind, ansonsten aber sehr familienlieb mit den drei Kindern, von sieben abwärts bis ins Windelalter.

Die Kinder haben durchaus ihre positiven Macken, der älteste John etwa verbindet alles mit dem Tod und erklärt alles, was still ist und nicht stinkt, für gestorben.
Doch dann geht es zu wie beim Song von den zehn kleinen Farbigen, politisch korrekt heißt es bei Gustav Ernst auch „Moor im Hemd“. Jedes Kapitel stirbt ein Familienmitglied und das drei Generationen lang.

Den Beginn macht sinnigerweise der Ich-Erzähler, der offenbar auf einer Geschäftsreise über dem Dschungel abgeschossen wird und verschollen bleibt. In der Folge redet „meine Frau“ immer noch weiter, obwohl der besitzende Ich-Erzähler schon tot ist.

Die Kinder aus der ersten Szene leben bald einmal über alle Kontinente verstreut und treffen sich schließlich nur noch zu Begräbnissen. Als auch die letzten Familienmitglieder gestorben sind, leben diese in Form von Erinnerungen, erzählten Seitensprüngen und anderen Gerüchten weiter.

Am Schluss taucht sogar der verschollene Ich-Erzähler wieder auf und bringt, halb Geist, halb literarisches Wundermittel, die Geschichte zu einem geordneten Abschluss. Er zerfällt nämlich wie eine Figur, die von einer Frischhaltefolie noch etwas über die Zeit gerettet worden ist.

Gustav Ernst erzählt um die beschauliche Metapher Grundlsee eine fetzige Familiengeschichte, die den Leser nicht mehr los lässt, wenn er einmal in den Sog dieser sarkastischen Dialoge geraten ist. Unter der Hülle von Familienfrieden reifen die einzelnen Mitglieder zu Bestien, Arschlöchern oder einzelgängerischen Psychos heran und verschwinden in der Unendlichkeit der weiten Welt.

Dabei wimmelt es nur so von ergreifenden Momentaufnahmen. Als die Mutter der schwangeren Tochter ein Jäckchen für das Baby überreichen will, erklärt diese, dass sie gerade abgetrieben habe.

Ich wollte Marcel nicht mehr und da wollte ich das Kind auch nicht mehr. (60)

Aber auch spät auftauchende Seitensprünge und frühe Ehen des Ichs haben in der Spiegelung der Hinterbliebenen oft ihr Gutes.

Ohne dass die erste Ehe von Papa schiefgegangen wäre, wäre vielleicht unsere schiefgegangen. (70)

Da eine Familie, ob harmonisch oder chaotisch, immer miteinander online ist, erzählt Gustav Ernst auch ununterbrochen in diesem rasanten Dialog von Sticheleien, Halbwahrheiten und unerfüllten Glücksvorstellungen. – Eine grotesk-wahre Familienchronik der witzigen Art.

Gustav Ernst, Grundlsee. Roman.
Innsbruck: Haymon 2013, 119 Seiten, EUR 17,90, ISBN 978-3-7099-7045-4.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Gustav Ernst, Grundlsee
Wikipedia: Gustav Ernst

Helmuth Schönauer, 14-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Gustav Ernst

Buchtitel

Grundlsee

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon-Verlag

Seitenzahl

119

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-7099-7045-4

Kurzbiographie AutorIn

Gustav Ernst, geb. 1944 in Wien, lebt in Wien.