Hartmut Lange, Das Haus in der Dorotheengasse

Die Novelle ist eine Kunstform, die in einem unaufgeregten Ambiente oft kurzfristig für Aufregung sorgen kann.

Hartmut Lange verfasst immer wieder Novellen, die man als Leser zuerst mehrmals schrubben muss, bis man zu ihrer spannungsgeladenen Oberfläche vordringen kann. Seine fünf aktuellen Novellen spielen am sogenannten Teltowkanal im Süden von Berlin. Dieser ist außergewöhnlich ruhig und entlegen und magische 38,39 km lang, er ist also für sich gesehen schon eine Novelle.

„Die Ewigkeit des Augenblicks“ verfolgt einen Taxilenker, der immer wieder an den Teltow-Kanal fährt, weil dort wenige Passagiere zusteigen und er also sinnieren kann. Seine Frau ist überraschend gestorben, er hat sie ruck-zuck auf See bestattet und merkt erst jetzt, dass er sich nicht richtig verabschiedet hat. So dringt er mit allen Mitteln in seine ehemalige Wohnung vor um nach einem Poster zu suchen, das einst einmal die Ewigkeit des Augenblicks eingefangen hat.

„Der Bürgermeister von Teltow“ spaziert viel am Kanal herum und verspottet, während er auf Wählerfang ist, die Krähen als Aasfresser, was ihm diese mit unheimlichen Begegnungen heimzahlen.

„Das Haus in der Dorotheengasse“ lässt einen Redakteur nicht los, der nach London versetzt wird. Die Trennung von seiner Frau hätte er noch hingekriegt, die Abstinenz von der Dorotheengasse macht ihn freilich fertig. So schreibt er schlechte Artikel in London, damit er bald wieder heimkommt. Die Ruhe über dem Teltowkanal findet er schließlich bedrohlicher als einen Aschesturm nach einem Vulkanausbruch in Island.

„Die Cellistin“ spielt an entlegenem Wasser genau das, was der perplexe Zuhörer zu Hause auf seiner CD hat, aber vielleicht ist sie nur Fleischgewordene Musikalität, denn so wie die Musik eingesetzt hat, ist sie auch wieder verschwunden, wenn man sie bewusst aufsucht.

„Der Schatten“ schließlich verfolgt eine biedere Papeterie-Frau und ihre Tochter, es handelt sich dabei um den Ehemann, der nach Einbruch der Dämmerung ins Haus schleicht. Kann sein, dass er Affären hat, kann sein, dass er arbeitet, Genaueres von diesem Schatten weiß die keusche Ehefrau nicht, während sie fast vor Aufregung zerplatzt, wenn ein neues Schreibset für das Schaufenster geliefert wird.

Hartmut Langes Novellen sind seltsam kühn, weil sie so unspektakulär sind. Vielleicht sitzt der Furor des Lebens wirklich an einem Kanal und lullt den Leser zu, bis er die Geschichte vergessen hat. – Eine waghalsige Erregung durch Stille!

Hartmut Lange, Das Haus in der Dorotheengasse. Novellen.
Zürich: Diogenes 2013. 128 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-257-06846-7.

 

Weiterführende Links:
Diogenes-Verlag: Hartmut Lange, Das Haus in der Dorotheengasse
Wikipedia: Hartmut Lange

 

Helmuth Schönauer, 28-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Hartmut Lange

Buchtitel

Das Haus in der Dorotheengasse. Novellen

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Diogenes-Verlag

Seitenzahl

128

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-257-06846-7

Kurzbiographie AutorIn

Hartmut Lange, geb. 1937 in Berlin-Spandau, lebt in Berlin.