Ilse Kilic, Wie der Kummer in die Welt kam

Wenn eine Autorin für ihre Figuren verantwortlich ist, muss sie diese dann sozialversichern? Können Figuren einen Vertrag mit der Autorin kündigen, wenn dieser gegen die guten Sitten verstößt?

Ilse Kilic erzählt keine fertige Geschichte, die man als Leser mit dem Finger auf der Zeile nachfahren kann, sondern von Problemen mit den Figuren, dem Abhauen der Handlung aus dem Text und der Schwierigkeit, dabei selbst eine Identität zu bewahren, die sich nicht beim Umblättern auflöst.

Der Roman „Wie der Kummer in die Welt kam“ erzählt von der Romanfigur Ria M. Glomp, der ein Paket zugespielt wird. Daraufhin wird ihr die Handtasche entrissen, weil man darin das Paket vermutet. Inzwischen schließt die Autorin eine Vereinbarung mit Glomp, wonach sie ein paar Auszüge aus deren Arbeit über den Kummer zitieren darf. Nach allerhand Zwischenfällen, die sich weniger im Handlungsbereich als um den Status der Figuren abspielen, sieht sich die Autorin zu einer Darstellung genötigt:

Die in diesem Text auftretenden Personen stehen - mit Ausnahme der alten Dame, die sich als freie Mitarbeiterin versteht - in einem Anstellungsverhältnis zu mir. (73)

Mit dieser verrückt genialen Konstellation rollt Ilse Kilic die fiktionale Welt und jene der Wirtschaftswelt in einem Aufwaschen auf. Was ist letztlich Erfindung und was geschieht aus gutem Glauben? Kann man die Figuren mit einem Knebelvertrag an die Leine nehmen? Sind nicht alle Vorgänge auf der Welt Ausschnitte aus einem größeren Roman, den niemand fertig zu lesen vermag.

In dieses Netz grandioser Fragestellungen fixiert Ilse Kilic diverse Auflösungen, die oft nur für eine Seite gelten aber immerhin Lichtpunkte von Sinn ausstrahlen. Als Kind hat die Autoren-Figur die Eltern mit der Vorstellung an die Grenzen gebracht, dass alles nur ein Ausschnitt aus einem Buch sei. In eine meditative Übung „Turning Winter into summer“ sind Geschehnisse eingebunden, die sich durch diesen Om-schen Singsang verwandeln. In Skizzen, wie sie üblicherweise in Lehrbüchern oder auf Wikipedia erscheinen, werden Vorgänge angerissen, die der Leser durch Betrachten des Bildes und des Untertitels für sich selbst zu einem Sinn verknüpfen muss.

Und in einer Arbeit über den Chagrinismus schließlich werden Vermutungen konzipiert „Wie der Kummer in die Welt kam“. Ganz egal, ob es den Begriff gibt oder nicht, jetzt gibt es ihn und Chagrinismus ist folglich die Lehre von Beschaffenheit und Erscheinungsformen des Kummers. (11)

Als Leser glaubt man nach diesem irrwitzigen Stafettenlauf der Figuren und Ideen durch alle Wahrscheinlichkeitsebenen alles und nichts. Selten ist man nach einem Buch so erschöpft, verunsichert und ermuntert, denn dieses Buch vertreibt verlässlich den Kummer aus der Welt.

Ilse Kilic, Wie der Kummer in die Welt kam.
Klagenfurt: Ritter 2013. 133 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-85415-505-4.

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Ilse Kilic, Wie der Kummer in die Welt kam
Wikipedia: Ilse Kilic

 

Helmuth Schönauer, 09-12-2013

Bibliographie

AutorIn

Ilse Kilic

Buchtitel

Wie der Kummer in die Welt kam

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

133

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-505-4

Kurzbiographie AutorIn

Ilse Kilic, geb. 1958 in Wien, lebt in Wien.

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