Jörn Birkholz, Schachbretttage

Der mieseste, brutalste und verachtetste Job unserer Gesellschaft ist jener des Schriftstellers, ein getretener Hund geht geradezu aufrecht durch das Leben gemessen an den Krümmungen, die ein Schriftsteller täglich hinlegen muss.

Jörn Birkholz braucht nicht lange zu suchen, um einen kaputten Schriftsteller als Romanvorlage zu installieren, in der Form einer literarischen Beichte startet der Ich-Erzähler sein Unternehmen „Schreiben in einer feindlichen Gesellschaft“.

Die Figur Benedikt Buchholz hat einen Roman geschrieben, der sinnigerweise „Derangiert“ heißt. Um den Verkauf anzukurbeln, ruft er Buchhändler im ganzen Land an und erlebt dabei sein blaues Wunder. Viele können nicht lesen, andere haben kein Publikum, die dritten reden sich auf den schwierigen Markt aus, kurzum, diese Werbemethode ist zwar originell aber sinnlos, wenn man sich nicht von vorneherein einen Namen gemacht hat.

In einem zweiten Durchgang probiert es der Autor mit Lesungen, aber auch diese enden meist in einem Desaster. Die ehrenamtlichen Bibliothekarinnen haben zwar eine kommunikative Ader aber kein Verständnis für Literatur, die Zimmervermieterinnen sind wetterbedingt sehr zickig und das Publikum sieht in jeder Zeile nur das Autobiographische.

Da hat das Publikum, das außer Krimis nichts mehr literarisch wahrnimmt, vielleicht einen prophetischen Riecher. Nach einer Lesung stürzt ein Mann aus dem oberen Stockwerk des Hotels und haucht stilvoll auf dem Schachbrett im Garten sein Leben aus.

Jetzt stellt sich heraus, dass der Autor im Laufe seiner Tournee seine Identität verloren hat. Ursprünglich hat er seine Texte von einem Schauspieler lesen lassen, der sich auf offener Bühne derangiert gebärden musste. Aber die Lesungen und sein Roman sind zur Fiktion verkommen, alle beteiligten Personen sind zurückgeschrumpft auf pure Textfiguren.

In Jörn Birkholz Szeneroman aus der Welt des dilettantischen Literaturbetriebs am flachen Land wimmelt es nur so von grotesken Minihelden, aufgeregten Textliebhaberinnen und unterzuckerten Literaturexperten. Dabei sind Lebensweisheiten des flach denkenden Volkes eingestreut wie:

Männer, die mit Helm Fahrrad fahren, können nicht gut im Bett sein. (109)

Diese Thesen werden systematisch durch artifizielle Handhabungen des Künstlers unterlegt. „Ich exe einen Zwergen-Wodka aus der Minibar.“ (112)

Was ist das für ein Scheiß-Genre? fragt sich am Schluss jemand aus dem Publikum, als die Polizei eintrifft und den Roman amtlich beendet. „Schachbretttage“ sind ein literarisches Spiel mit dem Literaturspiel, das Tag für Tag vom Literaturmarkt ausgerufen wird und sich letztlich als ein beinhartes Geschäft erweist, worin es nur wenig Überlebende gibt.

Jörn Birkholz, Schachbretttage. Roman.
Wien, Bozen: Folio 2014. 136 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85256-642-9.

 

Weiterführender Link:
Folio Verlag: Jörn Birkholz, Schachbretttage

 

Helmuth Schönauer, 04-03-2014

Bibliographie

AutorIn

Jörn Birkholz

Buchtitel

Schachbretttage

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Folio Verlag

Seitenzahl

136

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85256-642-9

Kurzbiographie AutorIn

Jörn Birkholz, geb. 1972, lebt in Bremen