Josef Kleindienst, Freifahrt

Nichts macht Helden so kaputt wie der Umgang mit sich selbst in einer freien Fläche ohne Zeiteingrenzung.

Josef Kleindienst stellt in seiner Erzählung Freifahrt den arbeitslosen Erwin vor, der gerade vom Dorf in die Stadt gezogen ist, weil er dort dem Arbeitsamt näher ist.

Irgendwie ist er zwar volljährig aber noch nicht selbständig geworden, weshalb ihm der Schwager bei jeder Gelegenheit mit Brachial-Ratschlägen auflauert, die Schwester manchmal für ihn kocht und der Vater ihm eine Netzkarte der ÖBB schenkt, damit er sich in anderen Städten um Arbeit umsehen kann.

Im ersten Anflug wirft Erwin die Netzkarte in den Papierkorb und besucht sein Café, in dem er Cola trinkt und den Beinen der Kellnerin beim Servieren zusieht. Wenn er den Zustand kennen würde, würde er es tote Hose nennen, so aber ist alles einfach unaufgeregt leer.

Als auch zuhause die Tristesse kein Ende nimmt, kramt er seine Karte aus dem Papierkorb und beginnt mit dem Reisen. Die erste Fahrt geht nach Slowenien, wo die Karte ungültig ist, aber Slowenien ist auch irgendwie wie bei uns, denkt er sich.

Nach kleineren Ausfahrten wagt sich Erwin schließlich nach Innsbruck, wo er unbedingt die Großschanze sehen will. Freilich ist alles eingezäunt und Erwin wird mit rauen Bell-Lauten der Einheimischen angesprochen.

Die schroffen Berge auf der anderen Seite der Stadt kamen wieder näher. Um nichts in der Welt wollte Erwin in Innsbruck wohnen. (63)

Obwohl auf den Ausfahrten nie etwas los ist, entwickeln sich Würstelbestellungen im Speisewagen, Schaffnerkontakte und Small-Talk mit Kurzreisenden immer zu aufregenden Erlebnissen.

Und auch die Erotik nimmt verschmitzt im Abteil Platz, zuerst als Salzburgerin mit fetten Wadeln, die in der Nacht Alpträume auslösen. Später lächelt ihm eine polnische Schönheit zu und Erwin kauft sofort einen Verlobungsring, trifft die Angebetete aber nicht mehr und erfährt hintennach, dass sie schon einen Mann hat.

Josef Kleindienst zeigt einen bemühten Helden, der wirklich alles versucht, um glücklich zu werden, der aber über die Rolle eines Passagiers mit Freifahrt-Ticket nicht hinaus kommt. Die Bedürfnislosigkeit und Treuherzigkeit erinnert ein wenig an Karl Rossmann in Kafkas Verschollenem.

Das Train-Movie, einmal in Schwung gebracht, kennt kein Ende, außer der Held bricht zusammen. Das macht Erwin auch an einem Bahnsteig, ihm wird schwindlig und vom Leben bleibt ihm nur der Hauch eines Güterzuges, der durch das Gelände rasselt.

Josef Kleindienst, Freifahrt. Erzählung.
Wien: Sonderzahl 2013. 143 Seiten. EUR 16,-. ISBN 978-3-85449-384-6.

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl-Verlag: Josef Kleindienst, Freifahrt
Homepage: Josef Kleindienst

 

Helmuth Schönauer, 15-02-2013

Bibliographie

AutorIn

Josef Kleindienst

Buchtitel

Freifahrt

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

143

Preis in EUR

16,00

ISBN

978-3-85449-384-6

Kurzbiographie AutorIn

Josef Kleindienst, geb. 1972 in Spittal / Drau, lebt in Wien.