Mike Markart, Der dunkle Bellaviri

Wenn eine große Verstörung vorliegt, verordnen Ärzte manchmal Spaziergänge oder den bloßen Aufenthalt im Freien. In der Literatur entsteht aus diesen Genesungs-Aufenthalten der Helden oft ein gesunder Roman.

In Mike Markarts Roman „Der dunkle Bellaviri“ ist das erzählende Ich vorerst so verstört, dass es demonstrativ vor allem Vögel und Laub beobachtet, um nicht von irgendjemandem angesprochen zu werden. Dieser Erzähler strolcht mit sich selbst herum, ehe er an der Klingelleiste einer Wohnanlage den Namen Garretti liest, diesen Namen füllt er nun mit Erzählungen und Projektionen aus.

Auf der nächsten Parkbank überfällt der Erzähler den nächstbesten Fremden und stülpt ihm eine Identität als Garretti über. Nach diesem Wunschbild einer Identität wird ein Garretti geformt, der teils kindliche Züge, teils Züge eines literarischen Sonderlings zu tragen hat. Diese Figur tritt als Findelkind auf und klappert in einfältigem Ton mit Paprikaschoten. „Garretti ist mein neues Medium“ sagt der Verstörte hoffnungsvoll und klont schon den nächsten Star für den Text zusammen.

Am Fenster steht zuerst als pure Figur der dunkle Bellaviri und saugt die Umwelt ein, während er sich der Welt als kurze Erscheinung spendet.

Zwischen zwei Momenten wurde Bellaviri in die Dunkelheit des im Zentrum des Ortes liegenden Hauses hineingeboren. (122)

Der Erzähler ist einerseits angezogen von der lichten Gestalt, andererseits will er diesen Bellaviri wieder loswerden und erfindet deshalb Loswerde-Geschichten. In einer davon verschwinden alle diese Phantasie-Personen an einer Fähre zu verschollenen Inseln.

In Rückblenden erzählt der Ich-Moderator von seinen Auslandsreisen und wie er wieder zu seinen Eltern findet, die ein Hotel mit giftigen Pilzen betreiben. Animiert von diesem Pilzambiente beginnt er zu komponieren, verliert aber offensichtlich sofort das Gehör, sobald er sich zu sehr auf die Noten einlässt. Aus dieser Zeit der künstlerischen Phase stammen auch kleine Individual-Glossen, die von Visionen am Fußballfeld, dem Musiker Palestrina, den Gassen der Umgebung oder virtuellen Fundstücken handeln. Vor allem Fragen, nichts als Fragen bleiben, die auch durch das Exzerpieren nicht besser werden.

Mike Markart komponiert mit dem dunklen Bellaviri ein Stück italienische Empfindungsgeschichte, die an Kunstfiguren aufgefädelt mit Leichtigkeit vom Abenteuer der Maskerade und konstruierter Identität erzählen. Wie Schatten aus der Kindheit huschen die beiden Visionsfiguren durch die laue Witterung des Südens und nehmen dabei einen verstörten Erzähler unter die Fittiche, um mit ihm zu verschwinden.

Mike Markart, Der dunkle Bellaviri. Roman.
Graz: Keiper 2013. 192 Seiten. EUR 17,60. ISBN 978-3-902901-23-1.

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Mike Markart, Der dunkle Bellaviri
Wikipedia: Mike Markart

 

Helmuth Schönauer, 18-12-2013

Bibliographie

AutorIn

Mike Markart

Buchtitel

Der dunkle Bellaviri

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Keiper Verlag

Seitenzahl

192

Preis in EUR

17,60

ISBN

978-3-902901-23-1

Kurzbiographie AutorIn

Mike Markart, geb. 1961 in Graz, lebt in der Weststeiermark.