Musa Beksultanow, Ferne Gestade des Lebens

Von manchen Ländern ist in unseren Gestaden fast nichts bekannt und schon gar nicht deren Literatur. Von Tschetschenien wissen wir höchstens, dass dort Ausnahmezustand herrscht und viele Menschen das Land verlassen haben.

Musa Beksultanow, im Exil in Kasachstan geboren, lebt in Grosny, seine Erzählungen handeln immer wieder von Tschetschenien, das er mit den Mitteln der Trance, der Mythologie und der Erzählkraft der Vorfahren darzustellen versucht.

Die Deportation des ganzen tschetschenischen Volkes unter Stalin sowie das ungelenke Fußfassen der späteren Rücksiedler sind der Hauptstrang dieser Texte. Gleich in der ersten Geschichte versucht der Ich-Erzähler mit aller Kraft ein gewissen Haus zu kaufen, dessen Besitzerin in die Stadt zieht.

Nach vielen Verhandlungen und unendlichen Mühen, die Kaufsumme aufzustellen, kommt schließlich der wahre Grund zum Vorschein. Es handelt sich um das Haus des Großvaters, der einst drei Nussbäume gepflanzt hat. Der Erzähler versucht durch dieses ererbt-gekaufte Haus wieder Frieden mit der Vergangenheit zu finden.

Auch bei der Titelgeschichte „Ferne Gestade des Lebens“ geht es darum, aus dem Exil in Kasachstan heraus einen versöhnlichen Zugang zur Geschichte zu finden.

„Die Namen würdiger Männer bewahrt das Volk in seinem Gedächtnis. Es ist vergleichbar mit dem Archiv eines Staates.“ (142)

Aus Überlieferungen versuchen die heimatlos Gewordenen einen Überlebensmythos zu entwickeln, der natürlich oft irreale Züge annimmt.

Was als großes Jahrhundertschicksal an Deportation, Exil, Heimkehr und Krieg angelegt ist, äußert sich auch im privaten Schicksal. Ein Liebespaar muss sich dienstlich trennen, weil er als Lehrer in ein entlegenes Dorf muss, während sie weiter studiert. Trotz aller Treueschwüre und Heiratsanträge zum Scherz kommt es zur Trennung, weil die Geliebte nach den Riten der Ahnen doch einen anderen heiratet. Der Liebhaber wird über diesen Schmerz schier verrückt und verflucht die Ahnen und beklagt sein Pech.

Erinnerung heißt eine andere Sequenz, wo plötzlich Schüsse fallen und ein Liebespaar zerrissen wird. Er spürt noch, wie seine Frau ihm tot entgeltet, aber er kann nicht sagen, ist es Wirklichkeit oder Traum.

Mit diesem diffusen Gemenge zwischen Realität und Hinterhalt arbeitet natürlich auch die Geheimpolizei, die einem Bürger die vage Nachricht zukommen lässt, dass es besser sei zu verschwinden.

Eingebettet sind diese Geschichten in Landschaften voller Schnee und Ungemach, die Orte sind oft zerstört und die Figuren fragen sich, was sie aufbauen sollen und vor allem warum.

Musa Beksultanow erzählt von der Unmöglichkeit, entwurzelt heimzukommen und so zu tun, als könnte man weiterleben. „Eine unfassbare Sehnsucht ist in mir“, (187) seufzt der Ich-Erzähler an den fernen Gestaden des Lebens.

Musa Beksultanow, Ferne Gestade des Lebens. Erzählungen und Novellen aus Tschetschenien. A. d. Tschetschen. von Marianne Herold und Ruslan Bazgiew.
Klagenfurt: Kitab 2010. 193 Seiten. EUR 16.-. ISBN 978-3-902585-58-5.

 

Weiterführender Link:
Kitab-Verlag: Musa Beksultanow, Ferne Gestade des Lebens

 

Helmuth Schönauer, 28-11-2012

Bibliographie

AutorIn

Musa Beksultanow

Buchtitel

Ferne Gestade des Leben

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Kitab-Verlag

Seitenzahl

193

Preis in EUR

16

ISBN

978-3-902585-58-5

Kurzbiographie AutorIn

Musa Beksultanow, geb. 1954 im Exil in Kasachstan, lebt in Grosny.