Renato Baretic, Der achte Beauftragte

Die wahre Seele eines politischen Systems zeigt sich selten in der Hauptstadt sondern meist in vergessenen Randgebieten.

Renato Baretic fackelt in seinem Roman nicht lange mit dem Schicksal seines Protagonisten herum. Der Politiker Sinisa gilt zwar als politische Hoffnung, aber er ist für seinen Auftritt noch nicht schlitzohrig genug. Deshalb setzt man ihm Ko-Tropfen ins Glas und eine moldawische Olga ins Auto, was das vorläufige Karriere-Ende in der Hauptstadt bedeutet.

Sinisa wird auf die Insel Drittchen verbannt, offiziell ist es eine politische Mission, weil er dort nach dem Rechten sehen soll. Drittchen liegt hinter den Inseln Zweitchen und Erstchen, bei der Anreise fällt zuerst das Netz aus, dann das Verkehrssystem und am Schluss die Sprache. Als der Held die Insel betritt, wird er als der achte Beobachter empfangen, sieben sind schon vor ihm gescheitert. Man nennt ihn Beantrotto, was er richtig als „schöner Trottel“ übersetzt. (40)

Für alles gibt es hier einen anderen Namen und die Sprache ist aus australischem Slang-Englisch, Italienisch und dem felsigen Reiben von Konsonanten zusammengesetzt, eine Fundgrube für alle Sprachforscher. Die Bevölkerung ist uralt und bezieht eingeschmuggelte Renten aus der Vorzeit, als viele von den Bewohnern im australischen Bergbau gearbeitet haben.

Es gibt zwei Sippen, die eingesessenen Langfuß und die zugezogenen Nassfuß. Mit Mühe gelingt es dem Beobachter, ein Zweiparteien-System zu installieren, das aus jeweils einem Mandatar besteht. In seinen Memoranden, die er säuberlich mit dem Speicherplatz seiner Festplatte überschreibt, klagt er, dass die Bewohner sich um keine Gesetze kümmern und nichts wollen, sie sind mit den Solarzellen auf ihren Dächern völlig befriedigt und wollen nichts von der Außenwelt und schon gar nicht von der Regierung wissen.

Alle sind steinalt, die Jüngste wird mit 67 unter großem Wehklagen begraben. Nur ein bosnischer Lover und seine Pornodarstellerin sind noch in einem erträglichen Alter, nachdem der dritte Junge beim Dolmetschen gestorben ist.

Obwohl die Zeit auf der Insel keine Rolle spielt, fehlt sie manchmal beim gelungenen Sex. „Du Pferd, mir fehlte nur eine Minute!“ schreit die Geliebte, als sie knapp um den Orgasmus betrogen wird. (162)

Als sich in der Hauptstatt die Lage auf Neuwahlen hin zuspitzt, setzt sich der Premier nach Drittchen in Bewegung, um den Beobachter heimzuholen und die echte Stimmung im Lande auszumachen. Aber der achte Beobachter ist noch nicht fertig, und die Inselbewohner sind für das politische Modell nicht geeignet.

Der Roman funkelt in voller Sprachlust, alle Sätze werden gebogen und gedrechselt, bis sie niemand mehr versteht. Die Helden sind voller Widerstandskraft und Lebenslust und vertreiben alles, was ihnen blöd kommt.

Gegenüber echten Lebenskünstlern hat das Gemurkse aus der Hauptstadt keine Chance. – Befreiend sonnig!

Renato Baretic, Der achte Beauftragte. Roman. A. d. Kroat. von Alida Bremer. [Orig.: „Osmi povjerenik“, Zagreb 2003].
Berlin: Edition Balkan Dittrich 2013. 336 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-943941-10-4.

 

Weiterführender Link:
Dittrich Verlag: Renato Baretic, Der achte Beauftragte

 

Helmuth Schönauer, 10-07-2013

Bibliographie

AutorIn

Renato Baretic

Buchtitel

Der achte Beauftragte

Originaltitel

Osmi povjerenik

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition Balkan Dittrich

Übersetzung

Alida Bremer

Seitenzahl

336

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-943941-10-4

Kurzbiographie AutorIn

Renato Baretic, geb. 1963 in Zagreb, lebt in Split.