Robert Misik, Was Linke denken

Zum freiwillig Lesen gehören immer ein Schuss Romantik und der Glaube daran, in ein halbwegs logisches und überschaubares Gebiet vordringen zu können. Viele Linke haben in den Sechziger Jahren anhand der bunten Suhrkamp-Bücher das Lesen gelernt und schwärmen heute noch davon, wie logisch, bunt und heimelig damals alles gewesen ist.

Robert Misik erzählt für Neueinsteiger, was Linke so lesen, wie linke Protagonisten getickt haben und welche Gedankengänge wann und warum in den Vordergrund getreten sind. Gleich zu Beginn räumt er mit dem Mythos auf, wonach in der linken Szene besonders viel gelesen und gedacht würde, das Danken verteilt sich dünn gesät auf alle Schichten und Gedankenträger.

Ein bisschen hängt der Belesenheitskult bei den Linken mit ihrer Wortwahl zusammen, sie sagen nicht Philosophie sondern Theorie. Während die Philosophie immer in ein Glasperlenspiel abzugleiten droht, suggeriert die Theorie, dass es irgendwo noch ihre Komplementärmenge, nämlich die Praxis geben könnte.

Indem nun die wichtigsten Schriften des Marxismus, Sozialismus, Existentialismus, Strukturalismus und Poststrukturalismus als Lesekommentar vorgestellt werden, ergibt sich auch eine Geschichte der wichtigsten Personen, die fallweise recht liebevoll frech skizziert werden.

So hat Gramsci offensichtlich den Gefängnissozialismus entwickelt, er ist lange eingesessen und hat gegen das Vergessen eine linke Theorie aufgeschrieben. Das theoretische Schreiben jenseits der Alltagswelt hat ihm zu einer kompakten Theorie der Denk-Hegemonie verholfen, die bei entsprechender Anpassung auch heute noch Gültigkeit hat.

Das gilt wohl für alle politischen Schriften, dass sie einmal historisch gelesen werden können, dann wieder durch Deviation die Gegenwart beschreiben. So ist zwar immer noch jeder ein bisschen Marxist, aber von Marx weit entfernt, der die Arbeiterschaft jenseits von ethnischen oder gendrigen Kategorien beschrieben hat.

Mira Lobes „Das kleine Ich-bin-ich“ kann übrigens als Grundfeste der modernen Linke gelesen werden, zieht doch das Individuum in diesem Kinderbuch für das Selbstbewusstsein in den Krieg. Eine ganze Generation, die mit diesem Buch groß geworden ist, spricht heute noch diese Moral aus mit dem Satz:

Ich zieh mein Ding durch! (75)

Der letzte Schrei in der Entwicklung der Linken ist die Vernetzung Marke Poststrukturalismus. Der Diskurs ist das Um und Auf, die Gedanken sind in der Cloud und warten darauf, vom Individuum abgerufen zu werden. Die Macht geht durch das Individuum durch wie durch Butter, weshalb das Individuum nicht mehr für eine Revolte zu gebrauchen ist. Im Netz gibt es keine Linke und Rechte mehr, alles ist Cloud.

Robert Misik erzählt süffisant, witzig und begeisternd von einer Materie, die man sonst gerne mit einem verrauchten Che-Guevara-Plakat oder einem bärtigen Marx-Gesicht in Verbindung bringt. „Jedes Produkt ist ein Köder, womit man das Wesen des anderen und sein Geld anlocken will“ (26) Sogar Marx wird durch Robert Misiks Erzählkunst sehr zutraulich. – Ein intellektuelles Vergnügen!

Robert Misik, Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas, Foucault & Co
Wien: Picus Verlag 2015, 158 Seiten, 14,90 €, ISBN 978-3-7117-2030-6

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Robert Misik, Was Linke denken
Wikipedia: Robert Misik

 

Helmuth Schönauer, 03-01-2016

Bibliographie

AutorIn

Robert Misik

Buchtitel

Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas, Foucault & Co

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

158

Preis in EUR

14,90

ISBN

978-3-7117-2030-6

Kurzbiographie AutorIn

Robert Misik, geb. 1966, lebt in Wien.