Roland Reitmair, Innergebirg

Das Gebirge ist in der Literatur der Ort der letzten Klärung. Ob es sich nun um einen familiären Suizid handelt wie bei Thomas Bernhard oder um einen radikalen Hirnumschwung wie in Büchners Lenz, das Gebirge erscheint dabei als eine scharfe Klinge für die existenzielle Rasur.

Roland Reitmair macht diese geographische Reinigungsanlage noch eine Spur schärfer, indem er seinen Helden ins „Innergebirg“ schickt. Dass es dabei um Leben und Tod und um den Sinn des Lebens geht, wird sogar dem Helden Arthur von der ersten Zeile an klar. Er hat nämlich das Gefühl, gerade gestorben zu sein, aber andererseits sind ein paar Sinnesorgane noch in Funktion und er kann sich einen Rundgang durchs Innergebirge leisten.

Arthur ist irgendwie im Koma oder zur Pflege bei Nonnen, er scheint verunfallt zu sein, denn er wird sorgfältig genäht und zusammengeflickt und dann wieder ausgesetzt, weil er sowohl tot als auch lebendig die Klosterruhe bloß stören würde.

In der Folge testet Arthur seine Sinnesorgane, er macht sich mit Elementen der Landschaft vertraut und reduziert seine Wahrnehmung auf schroffe Konturen des Innergebirgs. Langsam tauchen auch Floskeln und Formeln der eigenen Biographie wieder auf. Je weiter sich der Held in die Ödnis vor tastet, umso mehr kommt er eigenen Lebenszügen auf die Spur.

Das Leben in dieser Gegend ist ziemlich zurückgefahren, die einzig relevanten Ereignisse sind Begräbnisse, die im Stile des Existenzialismus und Minimalismus ergreifend inszeniert werden.

Nach so einem Begräbnis nimmt Arthur Kontakt zur grenzwertigen Bergbäuerin Johanna auf, bei der er einschläft und sechsundzwanzig Stunden durchschläft. Sie hat es auf die Wund-Nähte abgesehen und befreit ihn davon mit erotisierenden Handgriffen.

Ihr Bruder ist selbstverständlich Wilderer und führt den Verlorenen noch ein Stück weiter hinein ins Gebirge, wo er auf einen Einzelgänger trifft, der einen Familienstollen als Nachlass betreibt. Abschließend geht es hinauf zu einer Biwakschachtel des Alpenvereins, wo alte Kriegsgeschichten und Unfälle mit tödlichem Ausgang serviert werden.

Ein heftiges Unwetter in der Felswand führt die Geschichte zu einem sinnvollen Abschluss, indem wieder einmal jemand karg begraben wird. Der Protagonist hat das ungute Gefühl, dass er es selbst sein könnte, dessen Begräbnis er zuschaut.
Roland Reitmairs felsige Seelengeschichte greift verlässliche Gebirgsmythen auf, um sie in einer ironischen Drehung einem grotesken Sinn zuzuführen.

Manche Sätze kommen wie Marterl-Sprüche aus verwitterten Zeiten daher, andere Sätze sind euphorisch und schlicht wie die Geschichten von Bergsteigern, die von seltsamen Eindrücken oben in dünner Luft berichten. - Ein witziger Roman über den romantischen Sterbekult im tiefsten Felsenland.

Roland Reitmair, Innergebirg. Roman.
Graz: Styria premium 2013. 126 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-222-13412-8.

 

Weiterführende Links:
Styria premium Verlag: Roland Reitmair, Innergebirg
Homepage: Roland Reitmair

 

Helmuth Schönauer, 21-09-2013

Bibliographie

AutorIn

Roland Reitmair

Buchtitel

Innergebirg

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Styria premium

Seitenzahl

126

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-222-13412-8

Kurzbiographie AutorIn

Roland Reitmair, geb. 1973, aufgewachsen in Böckstein, lebt in den Kalkalpen.