Setzwein / Thanhäuser, Jean Paul von Adam bis Zucker

Die letzte Möglichkeit, in eine Orgie von Material, Ideen, Handlungen und Gedanken eine Ordnung hineinzubringen, ist das Abcedarium. Dieses Lieblings-Küchengerät der Bibliothekare ermöglicht es manchmal, so etwas wie Logik und Überblick in einen Gedanken-Teig voller Zähigkeit zu bringen.

Für einen Dichter-Giganten wie Jean Paul ist das Abecedarium die ideale Methode, Liebenswürdiges, Skurriles und Erbauliches aus seinem Werk zu krallen, zumal Jean Paul ja einmal selbst inbrünstig um eine solche Darstellung gebeten hat. „Um ein solches ABC mit bunten Bildern bitt‘ ich Sie.“

Jean Paul, den man oft scherzend als einem Vorläufer von Wikipedia bezeichnet, wird zu seinem 250sten Geburtstag mit einer lexikonartigen Biographie geadelt, von der der Autor Bernhard Setzwein hofft, dass hier mehr als nur Stichwörter stehen, eher schon eine Nacherzählung. (12)

Die Schlagwörter führen oft über elegante Lektüre-Kurven zur Kernaussage. So heißt das Schlusskapitel aus alphabetischen Gründen Zucker, gemeint ist aber der süße Harn von Diabetikern, dem der alternde Jean Paul huldigten musste, nachdem er offensichtlich ein Leben lang immer dem Bier nachgezogen ist, bis er in Bayreuth fündig wurde.

Als Jean Paul gegen Ende seines Lebens, als er schon ziemlich krank war, eine Abstinenzphase einlegte, riet ihm ein Arzt, er solle sofort wieder das Trinken anfangen, sonst stehe sein Tod unmittelbar bevor. (32)

Jean Paul hat mit sterbensguten Binsenweisheiten nicht gegeizt: „Entwirf bei Wein, exekutiere bei Kaffee“, lautete zum Beispiel eine seiner Regeln. (33)

Nicht nur was die Handlungen seiner Protagonisten betrifft gilt Jean Paul als der Meister des Cinemascopes, auch in punkto Erfindung technischer Hilfsmittel oder Neologismen ist er seiner Zeit weit voraus. So soll das berühmte „Sprachgitter“, das einst Paul Celan als Titel für einen Gedichtband dienen wird, auf den oberfränkischen Worterfinder zurückgehen.

Die Fußnote, die seit den Plagiatsdiskussionen wieder in aller Munde ist, wurde von Jean Paul exzessiv verwendet, um auf einer Sub-Ebene ganze Untergrundgeschichten zu erzählen.

Bernhard Setzwein rollt das Hirn-Imperium Jan Paul mit völlig neugeordneten Geschichten auf, im Sinne von Hyperlinks taucht man von einem Absatz in den nächsten. Und Christian Thanhäuser versteckt die sogenannte Handlung oft in einem in Holz geschnittenen Sudoku, das der Betrachter langsam in seiner Üppigkeit entrollen muss. – Ein wie immer moderner Jean Paul in einer flotten Darbietung!

Bernhard Setzwein / Christian Thanhäuser, Jean Paul von Adam bis Zucker. Ein Abecedarium. Mit Holzschnitten und Federzeichnungen von Christian Thanhäuser.
Innsbruck: Haymon 2013, 264 Seiten, EUR 19,90. ISBN 978-3-85218-760-0

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Bernhard Setzwein / Christian Thanhäuser, Jean Paul von Adam bis Zucker
Homepage: Bernhard Setzwein

 

Helmuth Schönauer: 14-01-2013

Bibliographie

AutorIn

Bernhard Setzwein / Christian Thanhäuser

Buchtitel

Jean Paul von Adam bis Zucker. Ein Abecedarium.

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon-Verlag

Illustration

Christian Thanhäuser

Seitenzahl

264

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-760-0

Kurzbiographie AutorIn

Jean Paul (= Johann Paul Friedrich Richter), geb. 1763 in Wunsiedel, gest. 1825 in Bayreuth.  Bernhard Setzwein, geb. 1960 in München, lebt in Waldmünchen.<br />Christian Thanhäuser, geb. 1956 in Linz, lebt in Ottensheim/OÖ.