Sven Daubenmerkl, Wandern in Verdun

„Wir wollen wissen, was Touristen von heute an der Schlacht von Verdun interessiert. Wir wollen wissen, wie Geschichte entsteht.“ (15)

Mit diesem klaren Programm ausgestattet treffen der Erzähler und seine fotografierende Frau in der toten Saison in Verdun ein. Das heißt, sie waten durch dichten Regen, der die historische Sicht vernebelt und aufklart in einem. Gerade sind die letzten Hundertjährigen gestorben, die einst noch am Schlachtfeld Verdun während des Ersten Weltkrieges anwesend waren, jetzt versinkt das teilweise gut erhaltene Gelände endgültig zu einer historischen Stätte.

Die beiden Geschichtsforscher interessiert vor allem der Prozess des Erinnerns und seine touristische Aufarbeitung, stehen doch die Gedenkstätten für die Ermordeten des Nazi-Regimes vor einer ähnlichen Herausforderung, sterben doch die letzten Zeitzeugen und gilt es  doch, brauchbare Formen des Erinnerns zu finden.

In losen Wanderungen, wie vielleicht Fontane durch die Mark Brandenburg seine Recherchen aufgefrischt hat, ziehen die beiden „Erinnerungs-Touristen“ über Schlachtfelder, durch unendliche Gräber-Haine und über die verwachsenen Betondecken gigantischer Befestigungsanlagen. Dabei kümmern sie sich um das touristische Begleitmaterial und interviewen Touristiker. So gibt es beispielsweise ein Malbuch von der Schlacht, das die Kinder mit Buntstiften ausmalen sollen, ein zweifelhaftes pädagogisches Unterfangen.

Niemand kommt des Friedens willen nach Verdun, sondern jeder will den Krieg sehen, lautet eine Botschaft. Gleichzeitig ist die Verweildauer rasend kurz und sollte ein wenig ausgebaut werden, denn mittlerweile ist Verdun höchstens eine historische Raststation.

Die historische Überlieferung geht wie ein Drama in fünf Schritten vonstatten:

Zeugen | Zeugnisse | Quellen | Mythologisierung | Trivialisierung. „Dann ist es vorbei: Was dem Erinnern folgt ist das Vergessen.“ (127) -

Verdun dürfte nach knapp hundert Jahren im letzten Akt angekommen sein, die Kinder malen schon die Schlacht und spielen sie auf der Konsole nach.

Sven Daubenmerkl erzählt beiläufig von den historischen Vorgängen, weil diese auch beiläufig entstanden sind. Verdun hat sich letztlich zu dieser Blutpumpe und Knochenmühle, wie die Stadt von Zeitgenossen bezeichnet wird, entwickelt, weil ein deutscher General an dieser Stelle den französischen Gegner ausbluten lassen wollte. Dass dabei auch das eigene Heer verblutete, nahm er in Kauf, weil es sich ja um einen vollkommenen Krieg handelte.

Verdun lässt niemanden ungeschoren davon kommen, fasst der Autor seine Erfahrung zusammen, das erste Mal hat er Verdun bei einer Interrail-Tour besucht, als er aus Versehen drei Tage lang am Rande der Stadt bei Roma abgestiegen ist, weil er diese für die Campingplatz-Betreiber gehalten hat.

Eine Fotoserie von Gertrud Hofer zeichnet wie ein Kreuzweg in zehn Stationen das Unsagbare auf, ein einzelnes Grab aus hunderttausenden heraus gezoomt, ein Granaten-Trichterfeld, auf dem jemand wie nach einem Abschlag auf dem Golfplatz aus dem Bild hinausgeht, einen Soldatendarsteller, dessen Blick hundert Jahre weit zurückzuschauen versucht.

Wandern in Verdun ist eine stille Erinnerungsprosa, die im Kopf erst richtig aufgeht, wenn die Erinnerungsstücke wieder in die Vitrine zurückgelegt sind.

Sven Daubenmerkl, Wandern in Verdun. Prosa. Fotos von Gertrud Hofer.
Gosau: arovell 2013. 153 Seiten. EUR 12, 90. ISBN 978-3-902808-34-9.

 

Weiterführende Links:
Sven Daubenmerkl, Wandern in Verdun
Literaturhaus Wien: Sven Daubenmerkl

 

Helmuth Schönauer, 10-02-2013

Bibliographie

AutorIn

Sven Daubenmerkl

Buchtitel

Wandern in Verdun. Prosa

Erscheinungsort

Gosau

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Arovell-Verlag

Illustration

Gertrud Hofer

Seitenzahl

153

Preis in EUR

12,90

ISBN

978-3-902808-34-9

Kurzbiographie AutorIn

Sveb Daubenmerkl, geb. 1965 in Kemnath/Bayern, lebt in Gunskirchen.