Ulrich Ladurner, Küss die Hand, die du nicht brechen kannst

In allen Kulturen gibt es sagenhafte Sprichwörter des Überlebens. Was im österreichischen Operetten-Sound heißt, „vergiss, was nicht zu ändern ist“, heißt in der Hauptstadtkultur des Iran „Küss die Hand, die du nicht brechen kannst.“

Ulrich Ladurner hat aus seinen Einsätzen als Korrespondent in Krisengebieten eine eigene literarische Form entwickelt, die man vielleicht als Überlebensroman bezeichnen könnte. Dabei wird die Faktenlage, die üblicherweise über die Medien gesendet wird, mit handfesten Schicksalen und Figuren unterlegt. Diese Figuren sind natürlich typisiert und anonymisiert, aber sie tragen im Kern jeweils echte Sätze von echten Interviews in sich.

Auf der Bühne des Asadi-Platzes in Teheran treffen die Überlebenskünstler der diversen Regime zusammen. Zuerst leiden alle mehr oder weniger unter dem Pfauenthron des Schahs, symbolisch dargestellt durch das Schreckensgefängnis, dessen Ruf bereits so schrecklich ist, dass man schon bei der Nennung des Namens in Schock-Starre verfällt.

Jeder kann jederzeit verhaftet werden und vielleicht für immer verschwinden. Dennoch richten sich die „Asadis“ auf Überleben und Widerstand ein. Sie setzen ein Schah-Denkmal auf die öffentliche Toilette und entledigen sich darin fröhlich ihres Gedankengutes. Einer versucht eine Frau zu umwerben, seilt sich vom Dach ab und bricht sich nach Fensterl-Manier das Bein. Ein anderer kauft ein Stück Fleisch und liest im eingeschlagenen Zeitungspapier ein Gedicht, worauf er Lesehunger und Fress-Hunger gleichzeitig bekommt.

Mittlerweile bricht die Revolution unter Khomeini aus. Dieser Umsturz kommt so unerwartet, dass sich ein Demonstrant, der eben noch für den Schah geschrien hat, zu einem Mittagsschläfchen niederlegt, und als er am Nachmittag weiter schreit, wird er blöd angestarrt, weil mittlerweile alle für Khomeini schreien.

Bald einmal werden alle an die Front gegen den Irak geschickt, dabei gibt es neben den schrecklichen Massakern auch skurrile Begebenheiten, wenn etwa ein Außenposten im Wüstensand vergessen wird, worauf er wutentbrannt zu seiner Kompanie zurückeilt und erst recht vor das Kriegsgericht kommt.

Die Menschen in Teheran haben zumindest ein Jahrhundert lang gelernt, sich zu arrangieren, wie eine Chroniktabelle im Anhang an den „Roman“ erzählt. Manchen gelingt das Überleben in Unauffälligkeit, manchen die Flucht nach Paris.

Ulrich Ladurner erzählt wie für eine spannende Dokumentation das Alltagsleben in Teheran. Dabei vergisst der Leser einmal zwischendurch, dass es ja fiktionale Geschichten sind, dann wieder vergisst er, dass es in Teheran spielt. Denn einige der Überlebenskünste sind durchaus auch für Südtirol gefragt, etwa der wundersame Titel: „Küss die Hand, die du nicht brechen kannst.“

Ulrich Ladurner, Küss die Hand, die du nicht brechen kannst. Geschichten aus Teheran.
St. Pölten: Residenz 2012. 254 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7017-3284-5.

 

Weiterführende Links:
Residenz-Verlag: Ulrich Ladurner, Küss die Hand, die du nicht brechen kannst
Zeit-Online: Ulrich Ladurner

 

Helmuth Schönauer, 18-09-2012

Bibliographie

AutorIn

Ulrich Ladurner

Buchtitel

Küss die Hand, die du nicht brechen kannst. Geschichten aus Teheran

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

St. Pölten

Seitenzahl

254

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7017-3284-5

Kurzbiographie AutorIn

Ulrich Ladurner, geb. 1962 in Meran, Studium in Innsbruck, ZEIT-Journalist, lebt in Hamburg.