Alessandro Baricco, Smith & Wesson

Das einzig Sinnvolle einer Waffe wie der Smith & Wesson ist ihr eingetragener Markenname. Damit lässt sich jede Menge Kohle machen, wenn man es klug angeht.

Alessandro Baricco formt aus dem Waffenmythos ein groteskes Medienstück, dessen Botschaft lautet, gute Geschäfte gehen immer mit der Todessehnsucht des Publikums einher. Das Stück selbst ist in Akte und Sätze eingeteilt wie eine Oper oder ein Kammerstück, die Figuren, einmal in Szene gesetzt, reden wie Wladimir und Estragon im Warten auf Godot, und als Bühnenbild gewaltigen Ausmaßes dienen die Niagarafälle, weil es dort die meisten Suizide und Hochzeitsreisen des Kontinents gibt.

Smith & Wesson stoßen am Rand der Niagarafälle beruflich aufeinander. Der eine ist Meteorologe, der aus der Vergangenheit das Wetter der Zukunft prognostizieren kann, der andere Fischer, der sich auf das Herausfischen von Leichen der Suizidanten spezialisiert hat. Sie könnten sich auch mit ihren Vornamen Tom und Jerry anreden, aber das sei dann doch zu kitschig, meinen sie
Die Arbeit eines Forschers kann durchaus intensiv sein, auch wenn sie nicht heftig aussieht, Wesson als Leichenfischer jedenfalls muss sich alle vier Monate fünf Tage lang ins Bett legen, damit sich die Organe wieder austarieren.

Einen Lichtstrahl von Erotik wirft die Journalistin Rachel in die Szene, als sie für eine Reportage über das Hochzeitsparadies recherchiert. Angetan von der Arbeit der beiden schlägt sie einen Event vor, der auch Kohle einbringt. Unter dem Titel der große Sprung sollen Tiere oder Menschen in passenden Kähnen oder Kapseln sich die Niagarafälle hinunterstürzen. Am Ufer werden massenhaft Eintrittskarten verkauft und der Totenfischer und Zukunftsmeteorologe können endlich einen sinnvollen Beitrag für eine sinnlose Aktion leisten und dabei unsterblich vor Ruhm werden.

Der Meteorologe Smith stöbert in seinen Aufzeichnungen, ob der 21. Juni ein guter Termin wäre, dabei stellt sich heraus, dass an diesem Tag schon seit einem Jahrhundert die verrücktesten Dinge passieren.

An der Kante zwischen Illusion und Wirklichkeit jedenfalls stürzt statt des vorbereiteten Fasses das ganze Theater in die Tiefe und gerät in einen anderen Vorstellungszustand. Schade ist vor allem, dass der Fluss das verzweifelte Gesicht der Rachel mitnimmt, währen Smith & Wesson zumindest als Illusion überleben. Sie verbringen den Lebensabend in Mexiko, wo die Waffen noch Waffen sind und auch verwendet werden.

Alessandro Baricco greift mit seiner Installation ganz tief in die Groteske und holt Sequenzen aus der Plot-Kiste, die erst durch das Erzählen ihren tieferen Sinn erfahren. An der Kante der Niagarafälle wird nicht nur ein großer Fluss gebrochen, auch alle Geschichten lösen sich in Gischt auf und fahren als Regenbogen der Illusion in die Tiefe.

Alessandro Baricco, Smith & Wesson. A. d. Ital. von Annette Kopetzki [Orig.: Smith & Wesson, Mailand 2014]
Hamburg: Hoffmann & Campe Verlag 2016, 110 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-455-40577-4

 

Weiterführende Links:
Verlag Hoffmann & Campe: Alessandro Baricco, Smith & Wesson
Wikipedia: Alessandro Baricco

 

Helmuth Schönauer, 29-09-2016

Bibliographie

AutorIn

Alessandro Baricco

Buchtitel

Smith & Wesson

Originaltitel

Smith & Wesson

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Hoffmann & Campe Verlag

Übersetzung

Annette Kopetzki

Seitenzahl

110

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-455-40577-4

Kurzbiographie AutorIn

Alessandro Baricco, geb.1958 in Turin, lebt in Turin.