Alissa Ganijewa, Eine Liebe im Kaukasus

Wenn in der großen Politik nichts zu holen ist, stürzen sich die Menschen auf das kleine Glück und politisieren es. Die Hochzeit ist dabei das Parlament des kleinen Mannes und der kleinen Frau, darin können sich beide für einen Tag verwirklichen, ehe das Unglück wieder Fahrt aufnimmt.

In Alissa Ganijewas Roman „Eine Liebe im Kaukasus“ dreht sich vordergründig alles ums Heiraten. Patja hat in Moskau ein Praktikum absolviert und soll nach Dagestan zurück, um zu heiraten, ehe es zu spät ist. Sie ist mit fünfundzwanzig schon sehr überständig. Die Fühler zu Hause sind schon ausgefahren, man hat bereits den Hochzeitsaal reserviert, man weiß nur noch nicht, wer wen heiraten wird. Ähnlich ergeht es Murat, der in Moskau in einer Anwaltskanzlei arbeitet und ebenfalls nach Hause soll, weil dort komplizierte Verträge Probleme machen.

Die beiden Protagonisten liefern der Gesellschaft zu Hause eine Abwehrschlacht gegenüber den in Stellung gebrachten potentiellen Partnern, ehe sie dann mehr aus Verzweiflung als aus Berechnung beschließen, einander selbst zu heiraten. Aber die Ehe glückt zumindest bis Romanende nicht, weil sich die Braut noch nicht restlos von der Freiheit trennen kann und der Bräutigam sich klassisch versäuft und den Termin verpasst. In einem Bild intensiver Freiheit schmilzt in einem leichten Sud die Welt zusammen auf jenen Punkt, der für einen Augenblick alles erträglich macht.

Alles war so gut, dass es besser gar nicht sein konnte. (227)

In dieses Hochzeitskorsett ist die aktuelle Geschichte Dagestans verpackt. Die Menschen sind entwurzelt und wohnen perspektivlos in einer Siedlung hinter den Gleisen, unter den offiziellen religiösen Riten werden alte Märchen und Geschichten erzählt, ein lokaler Oligarch hat alle Geschäfte übernommen, Moskau ist weit und seit den Tschetschenen-Kriegen liegt die Gegend am Kaspischen Meer in zukunftsloser Agonie.

Das einzige Forum, in dem sich zumindest die Elterngeneration verwirklichen kann, bietet der Heiratsmarkt. Damit wird gleichzeitig das Unglück an die nächste Generation weitergegeben. Und Moskau nützt auch nichts, wenn man nach der Ausbildung wieder zurückkehrt in die Peripherie. Hier wird der Roman zu einer Peripherie-Saga, wie sie in allen Gesellschaften erzählt werden kann.

In einem höchst erhellenden Nachwort erklärt die Übersetzerin Christiane Körner die Ursachen und Zusammenhänge dieser Düsternis an der Peripherie Russlands. Gegen die Archaik der Verhältnisse kommt nur an, wer archaische Geschichten zu erzählen weiß.

Alissa Ganijewa, Eine Liebe im Kaukasus. Roman, a. d. Russ und mit einem Nachwort von Christiane Körner [Orig.: Zenich i nevesta, Moskau 2015]
Berlin: Suhrkamp 2016, 238 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-518-42554-1

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Alissa Ganijewa, Eine Liebe im Kaukasus
Wikipedia: Alissa Ganijewa

 

Helmuth Schönauer, 09-08-2016

Bibliographie

AutorIn

Alissa Ganijewa

Buchtitel

Eine Liebe im Kaukasus

Originaltitel

Zenich i nevesta

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Christiane Körner

Seitenzahl

238

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-518-42554-1

Kurzbiographie AutorIn

Alissa Ganijewa, geb. 1985, aufgewachsen in Machatschkala/Dagestan, lebt in Moskau.