Almut Tina Schmidt, Zeitverschiebung

Seit die Menschen Tag und Nacht online sind, heißt die häufigste Formel der Begegnung: Können wir den Termin verschieben? Dahinter steckt die Ahnung, dass man die Zeit nur besiegen kann, wenn man sie verschiebt.

Almut Tina Schmidt setzt ihre Ich-Erzählerin einem Gezeitensturm aus. Kaum wird etwas geplant, macht die Zeit was sie will, kaum ist die Zeit persönlich strukturiert, passt sie nicht mehr in die öffentlich verwaltete. Und die unbeantwortbare Frage lautet, wann ist der richtige Zeitpunkt für etwas gekommen?

Die Ich-Erzählerin murkst sich wie so viele an der Diplomarbeit ab. Immer wieder holt sie tief Luft, indem sie den Abgabetermin verschiebt. Andererseits fallen immer andere Ereignisse in die verschobene Zeit, so dass letztlich keine Fixpunkte mehr greifbar sind. Dieses Lebensgefühl hängt vielleicht mit dem Thema der Arbeit zusammen, es soll um das ständige Unterwegssein im Kosmos von Jack Kerouac gehen.

Die Heldin weicht in ihr persönliches „On the road“ aus, lernt bei einer Hochzeit einen längerfristigen Freund kennen, dieser fährt gerade nach Amerika, um selbst on the road zu gehen. Wo ist eigentlich die Echtzeit, wenn zwischen der imaginierten und der durchgeführten Reise kein Unterschied ist?

Wie so oft, wenn die Zeit stehen bleibt, ist der ideale Zeitpunkt für ein Kind gekommen. Die Erzählerin wird schwanger und erlebt die Geburt in Echtzeit, wenigstens in diesem Fall hat die Zeitverschiebung nicht gegriffen. Das Kind erlebt später alles als große Jahreszeit. Es ist wieder Winter. Das Kind will mit in die Bibliothek, aber es trödelt und hat alle Zeit der Welt.

Dieser persönliche Ablauf wird stets mit der Chronik der Welt in Verbindung gebracht, ein Flugzeug kreist über Griechenland und stürzt ab, ein Vorstellungsgespräch wird von einer großen Rede überschattet, die erzählte Reise des Freundes passt nicht mit dem Navi zusammen, das auf anderen Koordinaten fußt. Oma und Opa sterben vielleicht zur richtigen Zeit, immerhin sind sie irgendwo in der Wendezeit stecken geblieben. Die Heldin scheint in einem größeren Jetlag zu stecken, zwischen der geplanten Zeit und den abgewickelten Terminen klaffen oft mehrere Zeitzonen.

Von der Textur her ist der Roman auf den ersten Blick eine permanente Wurst, die freilich durch Zitate in zehn Segmente abgebunden ist. In den Einschnitten will etwa Samuel Beckett der Handlung nicht vorgreifen (57), Georges Perec träumt von der idealen Epoche (81), Georg Büchner nennt die Lage einfach schlimm und windig (173), und bei Walter Moers heißt es lapidar, die Zeit verging. (187)

Zeitverschiebung ist eine letztlich ironisch gemeinte Auskunft über dieses seltsame Ding, das sich nur provisorisch mit Zeigern darstellen lässt und das mit uns macht was es will. -Philosophie, ohne dass man es merkt.

Almut Tina Schmidt, Zeitverschiebung. Roman
Graz: Droschl Verlag 2016, 189 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-85420-978-2

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Almut Tina Schmidt, Zeitverschiebung
Homepage: Almut Tina Schmidt

 

Helmuth Schönauer, 09-09-2016

Bibliographie

AutorIn

Almut Tina Schmidt

Buchtitel

Zeitverschiebung

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

189

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-978-2

Kurzbiographie AutorIn

Almut Tina Schmidt, geb. 1971 in Göttingen, lebt in Wien.