Andrea Wolfmayr, Weiße Mischung

Letztlich gibt es für die Darstellung des undurchschaubaren Lebens in der Provinz zwei brauchbare Erzählrezepturen, zum einen braucht es grob aus dem sozialen Teig herausgestochene Kleinfamilien, zum anderen braucht es Kochrezepte, die zu allen Anlässen die entsprechenden Kaubewegungen auslösen.

Andrea Wolfmeier stellt in ihrem süffisanten Provinzroman die Hauptakteure in einem ausführlichen Anhang ins Schaufenster. Die Familien sind sauber geordnet nach den Kategorien Bürger, Geschäftsleute, Arbeiter, Bauern, „Edel“-Bürger/Kulturschickeria, „Alternativ“-Bildungsbürger, Künstler, „Gemeinde-Wichtige“ uns sonstige.

Zusammengeführt werden diese Kasten in einem wilden Buschen-Schank, der sinnigerweise von einem Ungarn geführt wird. Der Zaubersaft der Kommunikation heißt „weiße Mischung“, der zu allen Anlässen gesoffen wird, bis sich jeweils die eigene Identität aufgelöst hat. „Ok du Triebmensch, gib mir noch was zu trinken.“ (23)

Außerhalb der weißen Mischung belauern einander die Soziotypen argwöhnisch, wichtig ist das klassengenaue Erscheinungsbild, es wird gelogen, ausgehorcht, denunziert und geschönt, dass die Fetzen fliegen. Und dennoch schlägt das Schicksal zwischendurch ohne Standesdünkel zu, ein Krebs rafft eine Gemeinderätin dahin, ein Künstler verschludert sich in den eigenen Projektionen, ein Arbeiterkind geht ins Gefängnis.

Der Lebenssinn aller Figuren ist freilich das Kochen zu bestimmten Anlässen. Für jede noch so skurrile Begebenheit gibt es ein Rezept, das im Text als Fußnote angelegt ist und im Anhang als Vollrezept. Freilich kann es manchmal recht unstimmig zugehen, wenn etwa nach einem Jamie Oliver Auftritt im Fernsehen die Kleinhaushalte die Proleten-Menüs nachzukochen versuchen, aber die Speisen in dichtem Pampf enden.

Die Geschichten treten meist in der Dreifaltigkeit Essen-Ritual-Nachrede auf. Gleich zu Beginn gibt es eine große Taufe, bei der es nur um die richtige Menü-Abfolge geht, später werden die Figuren ausgerichtet und genüsslich durch den Kakao gezogen. Während die konkrete Feier pflichtgemäß in der Buschen-Schänke endet, beginnen schon die Gerüchte über das soeben Erlebte zu wuseln.

Ähnliches spielt sich bei Vernissagen, Gemeinderatssitzungen oder Begräbnissen ab. Völlig aus dem Häuschen kommt das Städtchen, als sich ein Fernseh-Team ansagt, für das Fernsehen nämlich wird die ganze Stadt neu inszeniert, damit wenigstens das Bild schön ist, wenn sich die Leute Wohlbefinden einträufeln. Die Figuren haben daher nichts Böses im Sinn, sie wollen nur gut essen, eine weiße Mischung und ein bisschen glücklich sein.

Andrea Wolfmayr erzählt im Stile einer rustikalen Seifenoper von den täglichen Mühsalen eines scheinbar vom Mainstream entlegenen Lebens. - Melancholisch witzig.

Andrea Wolfmayr, Weiße Mischung. Ein Roman aus der Provinz.
Graz: Keiper 2012. 414 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-9503343-7-1.

 

Weiterführender Link:
Edition Keiper: Andrea Wolfmayr, Weiße Mischung

 

Helmuth Schönauer, 18-12-2012

Bibliographie

AutorIn

Andrea Wolfmayr

Buchtitel

Weiße Mischung. Ein Roman aus der Provinz

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

414

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-9503343-7-1

Kurzbiographie AutorIn

Andrea Wolfmayr, geb. 1953 in Gleisdorf, lebt in Gleisdorf.