Bernd Cailloux, Gutgeschriebene Verluste

Im Idealfall verläuft das Leben wie ein Roman und seine Bilanzierung nimmt es mit einer korrekten Buchhaltung auf.

Bernd Cailloux nennt die Bilanz seiner fiktionalen Figuren „Gutgeschriebene Verluste“. In der Spannung dieses Begriffes steckt augenzwinkernd der Wahrheitsgehalt der Bilanz, selbst aus Verlusten lässt sich noch immer etwas Brauchbares herauslesen.

Im so genannten Erinnerungsroman treffen sich im Berliner Cafe Fler die Übriggebliebenen der vergangenen Epoche. Mittlerweile sind sie in einem Alter, wo man sich nie weiter als zehn Schritte von einem Defibrillator entfernt aufhalten sollte. Dennoch funktionieren die Hormone zumindest in der Erinnerung noch ziemlich passabel, weshalb es immer wieder zu abgeklärten Liebschaften kommt, die ganz im Stile von Senioren mit dem Seufzer enden, wunderbare Nacht, aufregende Nacht!

Zeitgeschichtlich im Mittelpunkt steht die goldene Zeit nach 1968 in der Halbstadt Westberlin, als es die Faustregel gab, in hundert Tagen hundert neue Menschen kennenzulernen.

Im Mittelpunkt der Bilanzstreifzüge in die Vergangenheit stehen der Ich-Erzähler, der in den letzten Kriegstagen als Findelkind irgendwo in Erfurt abgelegt worden ist und seine neue Liebe Ella, die als ehemalige Alleinerzieherin sowohl im Management der Liebe als auch in der Berufswelt firm ist. Als trigonometrischer Erinnerungs-Punkt tritt ein gewisser Leiser auf, der schon wegen seines Namens leise auftritt und im Übrigen die Kunst des akustischen Anfütterns beherrscht.

Während der Erzähler von Ella aus seiner Verpuppung geweckt wird (142) schlägt immer noch ein Virus aus den drogenstarken sechziger Jahren durch, der dem mittlerweile reif gewordenen Körper anständig zusetzt und nur durch die hohe Kunst moderner Medikamente halbwegs fit und liebestauglich gehalten werden kann.

Dabei hat es in der Urzeit der Erinnerung durchaus romantische Ansätze für eine glückliche Lebensführung gegeben:

Wir lagen oft am Waldrand und warteten, was der Nachmittag bringen würde. (121)

Allmählich gleiten die sechziger Jahre, die Einsprenksel der RAF-Zeit und die Stimmung der geteilten Stadt in die Vollendung der Geschichtsschreibung über. Das merkt der Ich-Erzähler daran, dass seine Wochenkommentare zu diesen Themen nicht mehr gefragt sind und er andererseits als dinosaurischer Referent über diese magische Zeit immer wieder staunend bei seinen Vorträgen angegafft wird.

Ja…damals die große Zeit […] damals war er noch Lyriker … es brauchte keine Antwort. (270)

„Gutgeschriebene Verluste“ sind ein unaufgeregter Versuch, eine scheinbar aufregende Zeit mit dem Senioren-Licht eines ruhig gewordenen Wilden zu beschreiben. Ein Vorgang, der letztlich jedem Leser ins Haus steht.

Bernd Cailloux, Gutgeschriebene Verluste. Roman mémoire.
Berlin: Suhrkamp 2012. 270 Seiten. EUR 22,60. ISBN 978-3-518-42279-3.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp-Verlag: Bernd Cailloux, Gutgeschriebene Verluste
Wikipedia: Bernd Cailloux

 

Helmuth Schönauer, 19-04-2012

Bibliographie

AutorIn

Bernd Cailloux

Buchtitel

Gutgeschriebene Verluste

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

270

Preis in EUR

22,60

ISBN

978-3-518-42279-3

Kurzbiographie AutorIn

Bernd Cailloux, geb. 1945 in Erfurt, lebt in Berlin.